Das Märkische Museum während der DDR-Zeit, 21. Mai 1972
© Stiftung Stadtmuseum Berlin – Archiv Rolf Goetze

Forschungsprojekt „Erwerbungen des Märkischen Museums 1945-1990“

Die Stiftung Stadtmuseum Berlin betreibt seit Anfang 2023 systematische Provenienzforschung zu all jenen Sammlungsobjekten, die zwischen Kriegsende im Mai 1945 und deutsch-deutscher Wiedervereinigung im Oktober 1990 an das Märkische Museum als Vorgängerinstitution kamen. Sie nimmt damit erstmal die gesamten Objektzugänge während der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ, 1945-1949) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR, 1949-1990) näher in den Blick. Die Einrichtung dieser Projektstelle wurde ermöglicht mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

von Dr. Regina Stein

Was sammelte das Märkische Museum zur Zeit der SBZ und der DDR – und unter welchen Bedingungen?

Bis kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 stellte der seit 1925 amtierende Museumsdirektor Walter Stengel (1882-1960) die Erwerbungen des Märkischen Museums jährlich in seiner Publikationsreihe „Neue Erwerbungen des Märkischen Museums“ vor. Nach Kriegsende lagen seine Prioritäten woanders: Es galt, die Wiederöffnung und den Wiederaufbau des stark zerstörten Museums, die Rückführungen des seit 1939 kriegsausgelagerten Kunst- und Kulturguts, den Neuaufbau der Sammlungen und die Verordnungen der sowjetischen Besatzungsmacht im eroberten Berlin zu bewältigen. Mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 und deren gesellschaftlicher Ausgestaltung zu einem sozialistischen Staat änderten sich die Arbeitsbedingungen für das nun in Ost-Berlin unter sowjetischer Zuständigkeit gelegene Märkische Museum. Als eine Folge der Strukturänderungen in den Ämtern, Ministerien und Institutionen brach eine wahre Flut an Objektzuweisungen über das Museum herein, die zunächst provisorisch mit Hilfe von Laufzetteln erfasst wurden, um die Menge zu bewältigen. Für diese Objekte muss deren Herkunft besonders akribisch untersucht werden, da nicht auszuschließen ist, dass sich darunter auch NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut befindet. Andererseits ist zu untersuchen, ob bei dem zahlreichen Kulturgut aus Privatbesitz, das ins Märkische Museum gelangte, möglicherweise Zusammenhänge mit den restriktiven neuen Gesetzgebungen in der SBZ/DDR bestehen (vergleiche die Auflistung der „Verdachtskontexte“).

Vieles über die praktische Arbeit jener Zeit, die Zuständigkeiten, Transporte und Verzeichnungen (Dokumentation) der rückgeholten und neu hinzukommenden Sammlungsobjekte ist uns heute nicht mehr präsent und schlummert zwischen den Zeilen zahlloser Aktenblätter: im eigenen Hausarchiv, auf Karteien und als Arbeitspapiere in den Sammlungsabteilungen, insbesondere aber in den Korrespondenzen der einstigen Zulieferer, Partner und Kontrahenten in externen Archiven in und um Berlin und sogar im Ausland.

Der Forschungsauftrag

Das Interesse des Stadtmuseums Berlin umfasst die gesamte Erwerbungsgeschichte zu den Sammlungen des Märkischen Museums[1] für die Zeit der SBZ/DDR, also zwischen 1945 und 1990. Dies streift notwendigerweise immer wieder auch Dokumentationsfragen: Was wurde seit 1945 an Objektzugängen und Einliefernden in den 108 Zugangs- und Inventarbüchern verzeichnet? Welche Unterlagen finden sich zu Erwerbungen im Hausarchiv und in den einzelnen Sammlungen? Welcher Art waren die Zugänge aus den Händen der Berliner:innen, der verschiedensten Institutionen und der Gewerbe – handelte es sich um Ankäufe, Schenkungen, Überweisungen? Befinden sich womöglich Objekte darunter, die – wie wir heute wissen – aus Unrechtskontexten während der SBZ/DDR stammen können? Wer waren die Zuliefernden und – wenn keine weiteren Informationen dazu im eigenen Archivbestand überliefert sind – wo finden sich deren Akten mit Gegenkorrespondenzen das Märkische Museum betreffend?

Die Provenienzforschung recherchiert systematisch – ausgehend von Hausunterlagen und in verschiedenen städtischen, Museums-, Landes- und Bundesarchiven – zu den Fragen der Erwerbungs- und Sammlungspolitik des Märkischen Museums: Wer waren die Verantwortlichen für das Sammeln und Erwerben im Museum, welche anderen Institutionen waren involviert und was waren übliche Abläufe? Konnte das Märkische Museum nach dem Krieg eine eigene Sammlungsstrategie weiterverfolgen und an seine traditionell breite Ausrichtung als einst „wichtigstes kulturhistorisches Museum der Stadt Berlin“ anknüpfen? Wie fügte sich das Museum in die politischen Instrumentalisierungen des sozialistischen Systems der DDR ein? Und besonders wichtig: Lassen sich Einzelobjekte, Objektgruppen oder Sammlungen identifizieren, die womöglich in Folge von SBZ/DDR-Unrecht zwischen 1945 und 1990 ins Märkische Museum gelangten und noch heute im Bestand sind?
Mit der Hinwendung zur Provenienzforschung SBZ/DDR will das Stadtmuseum Berlin die Wissenslücken zu seiner Sammlungs- und Dokumentationsgeschichte schließen und sieht sich zudem in der Verpflichtung, die eigenen Sammlungen proaktiv auf mögliche kritische Objektzugänge aus jener Zeit und auf die Rechtmäßigkeit des Eigentums zu überprüfen.

[1] Das Märkische Museum ist das historische „Stammhaus“ der 1995 gegründeten Stiftung Stadtmuseum Berlin: Es wurde 1874 als Märkisches Provinzialmuseum in Berlin gegründet, damals als städtisches Museum für die Geschichte Berlins und der Mark Brandenburg. Die Stiftung vereint heute als größtes kulturgeschichtliches Museum Deutschlands sechs aktive Museen in Berlin unter ihrem Dach. Weitere Bestände früherer Berliner Museen und Sammlungen, wie etwa die des Berlin Museums (1962-1995), wurden mit der Stiftung vereinigt.

Historische Kontexte und „Verdachtskontexte“

Die über 100.000 durch das Märkische Museum zwischen 1945 und 1990 inventarisierten Kunst- und Kulturgüter werden nach und nach auf die historischen Kontexte ihrer Erwerbung untersucht wie auch auf Herkunft aus sogenannten „Verdachtskontexten“ geprüft. Dies umfasst:

  • Objekteinlieferungen durch staatliche Organe und Massenorganisationen
  • Durchführung der „Bodenreform“/„Schlossbergungen“
  • Auflösung bürgerlich-rechtlicher Vereine und Stiftungen
  • „herrenloses“ Kulturgut (Fundgut, Bergungsgut)
  • Kulturgutschutzgesetzgebung der DDR
  • Vermögenseinzug nach Strafverfahren
  • Einziehungen nach „Republikflucht“ oder ständiger Ausreise
  • Vermögenseinzug mit Hilfe fingierter Steuerstrafsachen
  • Zollvergehen
  • Ministeriumsüberweisungen (u.a. „Aktion Licht“, 1962)
  • Umsiedlungsaktionen
  • Zulieferungen aus dem staatlichen Kunsthandel der DDR
  • Ankäufe von der Kunst und Antiquitäten GmbH bei deren Liquidation (KuA, sog. Mühlenbeck-Ankäufe, 1990f.)
  • Nachlässe (Kunstsammlungen und Künstlernachlässe)

Ausblick

Um die Forschungsergebnisse transparent zu machen, werden die  untersuchten Objekte und Themen in naher Zukunft im Format von „Fallkacheln“ vorgestellt und laufend weiter ergänzt.

Kritische Recherchefunde werden an die Forschungsdatenbank Proveana gemeldet, die neben anderen Forschungskontexten ebenfalls der Bündelung historischer Daten zu Kulturgutentziehungen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR dient.
Das Stadtmuseum Berlin ist mit seiner Provenienzforschung in der Arbeitsgruppe „SBZ/DDR“ im Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. vertreten. Forschende zu SBZ/DDR-relevanten Einzelthemen sind eingeladen, sich jederzeit direkt an uns zu wenden, um sich über Forschungsaspekte auszutauschen.

Weiterführende Literatur (Auswahl)

  • Sachse, Alexander / Scheunemann, Jan, Kulturgutentzug in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Historische Hintergründe, Praxisbeispiele und Rechercheansätze. Eine Handreichung für Museen, Potsdam 2024. Projektdarstellung und PDF-Download der Handreichung
  • Deinert, Mathias / Hartmann, Uwe / Lupfer, Gilbert (Hrsg.), Enteignet, entzogen, verkauft. Zur Aufarbeitung der Kulturgutverluste in SBZ und DDR (= Provenire. Schriftenreihe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, Bd. 3), Berlin, Boston 2022.
  • Deinert, Mathias / Lindenau, Katja / Merseburger, Carina / Müller-Spreitz, Annette / Sachse, Alexander: Welchen Stellenwert hat Provenienzforschung zu Kulturgutverlusten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR?, in: Transfer. Zeitschrift für Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte 1/2022, S. 110-121. DOIhttps://doi.org/10.48640/tf.2022.1.91520

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