Das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz
Wo Neukölln an Kreuzberg grenzt, wurde 1929 Berlins größtes Kaufhaus eröffnet. Es galt als das modernste in Europa und als ein Symbol des Fortschritts. Im 2. Weltkrieg fast vollständig zerstört, entstand es ab 1951 in verkleinerter und vereinfachter Form neu. Pläne, das Vergangene wieder auferstehen zu lassen, sind bis heute Pläne geblieben.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Berlin die ersten großen Warenhäuser, so wie auch in vielen anderen Städten Europas und Nordamerikas. Mit ihrem breit gefächerten Sortiment zogen sie eine ständig wachsende Kundschaft an: Im Unterschied zum traditionellen Einzelhandel, der auf bestimmte Sortimentsbereiche spezialisiert war, gab es hier die verschiedensten Produkte bequem erreichbar und ansprechend präsentiert an einem Ort. Unternehmen wie Tietz, Wertheim oder Karstadt errichteten dafür eigene, speziell als Kaufhäuser entworfene Gebäude. Im Zuge dieser Entwicklung entstand auch das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz (Neukölln) – und es setzte in jeder Hinsicht neue Maßstäbe.
Für den Bau des Gebäudes wurde der bis dahin schmale Hermannplatz durch Abriss einer Häuserzeile um 20 Meter zu einem repräsentativen Platz erweitert. Auf dem frei gewordenen Grundstück an der zu Kreuzberg gehörenden Westseite des Platzes entstand von 1927 bis 1929 das wohl eindrucksvollste Kaufhaus der Stadt. Entworfen vom Chefplaner des Karstadt-Konzerns, dem Architekten Philipp Schaefer (1882 – 1952), war es nicht nur das größte in Berlin, sondern auch das modernste in Europa – ein im Stil der Zeit gestalteter Konsum-Palast und zugleich ein Symbol für den Aufschwung der Weimarer Republik.
Leuchtendes Monument der Moderne
Im Zusammenhang mit dem Neubau wurde die bestehende U-Bahn-Linie D (die heutige U8) bis zum Hermannplatz erweitert und der neue U-Bahnhof über einen direkten Zugang an das Kaufhaus angeschlossen. Mit seinen zwei 56 Meter hohen Türmen und der effektvoll inszenierten Erscheinung überragte es die benachbarten Gründerzeit-Miethäuser in jeder Hinsicht. Die expressionistische, streng gegliederte Fassade und die reich geschmückten Innenräume waren mit hochwertigen Materialien ausgestattet. Von außen erstrahlte das Gebäude nachts im Neonlicht. Im Inneren bot es beinahe alle Arten von Produkten: von Lebensmitteln über Haushaltswaren und Kleidung bis hin zu Spielzeug. Auch in technischer Hinsicht war es mit elektrischen Rolltreppen und Aufzügen hochmodern. Der Architekt hatte im doppelten Wortsinn ein leuchtendes Monument der Moderne geschaffen.
Wirtschaftskrise und Krieg
Der Glanz des Konsum-Tempels erstrahlte nur kurz. Die Weltwirtschaftskrise traf ab Oktober 1929 die Berliner Bevölkerung wie auch den Karstadt-Konzern hart. Das Kaufhaus am Hermannplatz erwies sich jetzt als überdimensioniert. Schon 1932 standen mehrere Geschosse leer. Der Aufstieg des Nationalsozialismus brachte ab 1933 weitere tiefgreifende Einschnitte. Beschäftigte mit jüdischem Familienhintergrund wurden entlassen, Beschäftigte mit entsprechenden Kontakten drangsaliert. Überhaupt galten Kaufhäuser im NS-Staat zunächst als „jüdisch“ und mithin als unerwünscht. Dies änderte sich erst mit der so genannten Arisierung.
Die „Arisierung“
Enteignet und vereinnahmt
Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurden jüdische Geschäfts- und Vermögenswerte zwangsweise in vermeintlich rein deutsches, „arisches“ Eigentum übertragen. Dies geschah durch Zwangsverkäufe, Enteignungen und diskriminierende Gesetze, die es Deutschen mit jüdischem Familienhintergrund erschwerten, Handel zu treiben oder ihren Besitz zu behalten.
Die Arisierung betraf neben Banken und Immobilien auch den Handel. So wurden große Warenhaus-Unternehmen wie Tietz, Wertheim und Karstadt samt Immobilienbesitz enteignet oder zwangsverkauft. Vor 1933 noch als Gefahr für das traditionelle Kleingewerbe bekämpft, waren die großen Warenhäuser nun auf dem Handels- und dem Arbeitsmarkt willkommen. Zugleich dienten sie dazu, die nationalsozialistische Ideologie im Alltag zu verankern und zu verbreiten.
Neubau und Erweiterung
Der erhaltene originale Gebäudeteil wurde nach dem Krieg zum Ausgangspunkt für einen erheblich kleineren und niedrigeren Neubau. Dieser entstand auf dem südlichen Teil des ursprünglichen Grundstücks, an der Ecke Hasenheide/Hermannplatz. Auf dem nördlichen Teil bis zur Ecke Hermannplatz/Urbanstraße entstand erst in den 1970er Jahren ein Erweiterungsbau. So erreichte das Kaufhaus zumindest in einer Hinsicht wieder seine alte Größe – nach der Teilung Berlins nun als ein Ort, der die bürgerliche Welt des Westens widerspiegelte.Innen wie außen mehrmals umgestaltet und modernisiert, stellte sich ab den 2000er Jahren immer drängender die Frage nach der Zukunft des Kaufhauses. Der wachsende Online-Handel setzte den Karstadt-Konzern zunehmend unter Druck. 2019 schlossen sich daher Karstadt und Kaufhof zu „Galeria“ zusammen. Im selben Jahr brachte die österreichische „Signa Holding“, Eigentümerin des Kaufhauses am Hermannplatz, aufsehenerregende Pläne für einen Neubau ins Gespräch.
Zukunftspläne und Rekord-Bankrott
Der Vorschlag sah vor, die Nutzfläche auf 126.000 Quadratmeter zu vergrößern. Im Inneren sollte das Gebäude eine Markthalle und Büros beherbergen, von Wohnungen war die Rede, einem Fitness-Center und Restaurants. Außen sollten die Fassaden mitsamt den beiden Türmen nach historischem Vorbild neu entstehen. Die Bezirke Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen beurteilten das Vorhaben sehr unterschiedlich. Aus Furcht vor Verdrängung und Gentrifizierung äußerten zudem Teile der örtlichen Bevölkerung und gesellschaftspolitische Initiativen Vorbehalte gegen ein Investitionsprojekt dieser Größenordnung an diesem Ort. Fragen um Transparenz und Mitbestimmung wurden teils hitzig diskutiert.
Auch die Signa Holding selbst geriet in die Kritik. Im November 2023 meldete das Unternehmen Insolvenz an, gegen ihren Gründer wurde wegen des Verdachts von Insolvenzvergehen, Geldwäsche und Betrug ermittelt. Es war der größte Bankrott in der Geschichte Österreichs. All dies führte dazu, dass die Pläne für den Kaufhaus-Neubau seither ruhen. Selbst der Bestand des Nachkriegs-Kaufhauses gilt inzwischen als gefährdet. Die traditionsreiche Dachterrasse musste Anfang 2025 schließen. Doch das erhaltene Stück des monumentalen Original-Bauwerks vermittelt bis heute zumindest einen Eindruck von seiner einstigen Wirkung.
Das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz wirkt fort bis in die Gegenwart. Seine Geschichte ist so wechselvoll wie die Geschichte Berlins. Auch das Museum Ephraim-Palais, wo das Kaufhaus im Modell zu sehen ist, blickt auf eine wechselvolle Entwicklung zurück, die bis ins Heute reicht.