Ein Museum fürs Museum

Das Märkische Provinzialmuseum, sein Gebäude und die ersten Jahre: Nach diversen Umzügen und über 30 Jahre nach seiner Gründung erhält das Museum 1908 einen Museumsbau – das Märkische Museum am Köllnischen Park. Entworfen von Ludwig Hoffmann, sind die Architektur, aber auch die Ausstellung für die Ewigkeit gedacht. Doch das Museum entwickelt sich in der Weimarer Republik weiter: sammelnd und ausstellend.
Das neu errichtete Märkische Museum, noch von einem Bauzaun umgeben.
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto (Ausschnitt): Max Missmann

von Andreas Bernhard

4. Der Bau des Märkischen Museums

Ludwig Hoffmann wurde 1852 in Darmstadt geboren. Mit seinem Jugendfreund Alfred Messel ging er 1874 nach Berlin, um Architektur zu studieren. Während Messel in den folgenden Jahren zum Architekten der Warenhausbesitzer Wertheim avancierte und schließlich als der deutsche Warenhaus-Architekt gilt, nahm Hoffmann an verschiedenen Architektur-Wettbewerben teil. 1885 gewann er den Wettbewerb zum Neubau für das Reichsgericht in Leipzig.

Ludwig Hoffmann, um 1910
Ernst von Brauchitsch (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ludwig_Hoffmann_1.png), „Ludwig Hoffmann 1“, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/Template:PD-old
Hoffmann führte den Bau bis 1895 aus und wurde dadurch zu einem deutschlandweit bekannten Architekten. Der Staat bot ihm daraufhin eine Position als „Reichsarchitekt“ an, die für ihn neu geschaffen worden wäre. Hoffmann aber lehnte ab, denn er wusste, dass das Deutsche Reich kaum weitere Bau-Aufgaben zu vergeben hatte. Vielmehr interessierte er sich für den Posten als Berliner Baustadtrat. Hoffmann wollte sich jedoch nicht bewerben, sondern berufen werden, was ihm ein besseres Standing verleihen würde und zugleich auf ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein als Architekt hindeutet. Der Berliner Magistrat ging darauf ein und verlieh Hoffmann 1896 das Amt.

Eine Vielzahl von Bauaufgaben kommt nun auf Hoffmann zu: Schulen, Stadtbäder, Altenheime, Kliniken und Verwaltungsgebäude entstehen. Hervorzuheben sind das Stadthaus mit seinem charakteristischen Kuppelturm hinter dem Roten Rathaus und der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain. Einen letzten Bau würde er Jahrzehnte später sogar noch im Ruhestand ausführen: das 1930 eröffnete Pergamonmuseum, entworfen von seinem 1906 verstorbenen Freund Alfred Messel. Auch wenn der 1841 verstorbene Karl Friedrich Schinkel  ihn an Bekanntheit übertrifft, prägt doch kein anderer Architekt Berlins Stadtbild so sehr wie Hoffmann.

Am Anfang von Hoffmans Berliner Bautätigkeit aber steht der Neubau für das „Märkische Museum“, wie man das Märkische Provinzialmuseum inzwischen nennt. Hoffmann will es in historischer Bauweise ausführen, getrieben von der Idee, es gäbe eine „märkische“ Bauweise. Um sie zu studieren, setzt er eine ausgiebige Dienstreise für sich durch. Sie beginnt zwar in Brandenburg, führt ihn aber weiter durch die Altmark, Schleswig-Holstein, Dänemark – wo ihn die dänischen Kirchenburgen (die dem späteren Museumsbau besonders ähneln, aber ja gar nicht in der Mark Brandenburg liegen) besonders interessieren – und durch Pommern zurück nach Berlin. Ergänzt werden diese Studien später durch eine Dienstreise mit einer Fachgruppe zu den neuesten Landesmuseen im Deutschen Reich, zum Beispiel nach Darmstadt und nach München.

Lageplan von Köllnischem Park und Waisenbrücke mit dem Grundriss des Erdgeschosses des Märkischen Museums von Ludwig Hoffmann für die Veröffentlichung „Neubauten der Stadt Berlin“, Band 8, 1909
Sammlung Stadtmuseum Berlin
Die Grundrisse des ersten und zweiten Geschosses des Märkischen Museums von Ludwig Hoffmann für die Veröffentlichung „Neubauten der Stadt Berlin“, Band 8, 1909
Sammlung Stadtmuseum Berlin

Die Gestaltung des Inneren zielt darauf, bei den Besucher:innen verschiedene Stimmungen zu erzeugen. Das Gebäude umfasst zu diesem Zweck einige „Stilräume“, darunter eine „Waffenhalle“ und eine „Kapelle“, sowie meist etwas rustikal gestaltete Ausstellungsräume. Man verwendet beispielsweise handgeschmiedete Nägel zum Befestigen der nur grob gehobelten Fußbodendielen. Anstatt für den 1892 geforderten zentralen Lichthof entscheidet sich Hoffmann, eine zweigeschossige große Halle zum zentralen Bezugspunkt der Gesamt-Anlage zu machen – architektonisch angelehnt an die Kirchen-Architektur. Er sieht auch authentisch eingerichtete historische Räume vor, wie eine Bauernstube des 18. Jahrhunderts aus dem Spreewald oder ein Biedermeier-Zimmer. Weitere Räume widmen sich der Keramik, ländlichem Handel, berühmten Berlinern, Schauspieler:innen, dem Zunftwesen, der Baugeschichte Berlins und brandenburgischer Landesgeschichte. Es ist ein inhaltlich buntes Programm, das der Rundgang durch die 49 Ausstellungsräume bietet. Der Fokus auf die vorindustrielle Zeit kann heute als im damaligen Kultur- und Geschichtsverständnis begründet verstanden werden – die jüngere Vergangenheit galt damals noch nicht als museumswürdig. Dabei gilt es, die gesellschaftspolitischen Funktionen der Rückbesinnung auf ländliche Kultur kritisch zu hinterfragen.

Eine eigenwillige Idee Hoffmanns ist es, das Gebäude als Tageslichtmuseum zu konzipieren, in dem es keinerlei künstliche Beleuchtung gibt. Er begründet dies damit, dass die Ausstellungsstücke zu ihrer Entstehungszeit ja auch nicht künstlich beleuchtet wurden. Dies wird allerdings die Öffnungszeiten im Winterhalbjahr stark einschränken und zu dem Gerücht führen, man müsse zum Museumsbesuch eine Taschenlampe mitnehmen. Als Bauzeit ist 1899 bis 1902 vorgesehen, zumal das Cöllnische Rathaus 1899 abgerissen wird. Schwierigkeiten mit dem Baugrund verzögern die Fertigstellung jedoch bis 1904. Die Eröffnung lässt noch länger auf sich warten, da sich Hoffmann vorbehält, das Museum selbst einzurichten. Dies tut er in seiner Freizeit an den Sonntagen. Entsprechend langsam schreitet die Arbeit voran. Letztlich dauert es vier Jahre, bis das Gebäude eröffnet werden kann. Es ist unbekannt, warum das Museum und der Magistrat dies dulden.

Während der Einrichtungszeit wird Ernst Friedel mit 69 Jahren in den Ruhestand versetzt. Bürgermeister Georg Reicke übernimmt den Vorsitz des Museums-Direktoriums. Gleichzeitig wird auf Betreiben des liberalen Stadtverordneten Paul Nathan ein Förderverein des Museums gegründet. Vorbild ist der Förderverein des 1904 eröffneten Kaiser-Friedrich-Museums. Viele von dessen Mitgliedern werden auch Mitglied im Förderverein des Märkischen Museums – auffälligerweise jedoch nicht diejenigen aus Adel und Militär. Hier spiegelt sich wider, dass das Museumsprojekt auch der Selbstkonstituierung der neuen städtisch-bürgerlichen Schicht diente: Die alten Eliten in Adel und Militär hatten kein Interesse daran. Inwiefern der Verein auch als Pendant zur bürgerlichen Beschäftigung mit dem außereuropäischen bzw. kolonialen „Anderen“ begriffen werden kann, gilt es zu untersuchen. Gründungsmitglieder des Fördervereins sind unter anderem der Maler Max Liebermann, der Förderer der Königlichen Museen James Simon, die Bankdirektoren Max Steinthal, Karl Mommsen und Adelbert Delbrück, SPD-Mitbegründer Paul Singer, Publizist Fritz Stahl und einige Schriftsteller, darunter Max Osborn. Führende Funktionen haben Oberbürgermeister Martin Kirschner, Bürgermeister Georg Reicke sowie Ernst Friedel und Ludwig Hoffmann selbst.
Paul Nathan, der Gründer und Vorsitzende des Museumsvereins des Märkischen Museums.
Aus: Kai Michel: Das Museum und seine Vereine, in: Reiner Güntzer (Hrsg.): Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum Berlin, Bd. VI, 2000. Berlin 2001, S. 62-83, hier S. 71.

Am 10. Juni 1908 erfolgt die offizielle Eröffnung des Museums am Köllnischen Park, die von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt wird. Das Berliner Tageblatt meldet daraufhin: „Die einfache Feier, bei der jeder äußere Prunk vermieden war, charakterisierte das Werk, dem sie galt, schon selbst. Statt der sonst üblichen Uniformen und Orden sah man nur den würdigen Gehrock. Das Bürgertum der Stadt dominierte. In der engen Vorhalle drängten sich seine besten Vertreter in behaglichem Gespräch.“Kaiser Wilhelm II. persönlich hatte von Hoffmann schon eine Woche vorher eine exklusive Führung durch das Museum erhalten und sich sehr zufrieden gezeigt.

Als neue bauliche Attraktion in Berlin ist das Märkische Museum zunächst gut besucht. Erst im Laufe der Zeit werden Mängel des Entwurfs sichtbar: Das Gebäude verfügt nicht über Depots, sodass die mittlerweile 100.000 Inventar-Einheiten große Sammlung in Vitrinen-Sockeln und hinter Wand-Verkleidungen untergebracht werden muss – und sie wächst unaufhörlich weiter, da die Museumsleitung und die Vereine sehr aktiv sind. Es gibt keine Werkstätten, kaum Büros und keine Bereiche für Sonderausstellungen. Hoffmann hat das Selbstverständnis, das Museum gewissermaßen für die Ewigkeit gestaltet zu haben, sodass er keine Veränderungen an seiner Einrichtung gestattet. Da er großen Einfluss im Magistrat besitzt, kann er zwei Jahrzehnte lang durchsetzen, dass alles so bleibt wie es ist: Eine umfangreiche, aber unflexible Dauerausstellung, die keine Möglichkeit für Weiterentwicklungen und Sonderausstellungen bietet.

Zur Zeit der Eröffnung des Neubaus befindet sich das Märkische Museum in einer mittlerweile vielfältigen Museumslandschaft: Neben Altem und Neuen Museum und der Nationalgalerie liegt auf der Spitze der Museumsinsel das 1906 eröffnete Kaiser-Friedrich-Museum. Das Zeughaus heißt seit 1880 „Ruhmeshalle der Preußischen Armee“ und das gegenüber der Museumsinsel gelegene Schloss Monbijou ist seit 1877 Hohenzollernmuseum. An der Prinz-Albrecht-Straße (heute Niederkirchnerstraße) in Kreuzberg eröffnet 1881 das Kunstgewerbemuseum und daneben 1886 das Völkerkundemuseum. An der Invalidenstraße eröffnet 1889 das Naturkundemuseum der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität). Schließlich wird 1899 das von einer Aktiengesellschaft getragene Deutsche Kolonialmuseum am Lehrter Bahnhof eröffnet. Somit ist das Märkische Museum das einzige Regionalmuseum in Berlin während des Kaiserreichs.
Nordseite des Märkischen Museums mit der Waisenbrücke im Vordergrund. Federzeichnung als Kalenderblatt 1914 von Wilhelm Thiele.
Aus: Kai Michel: „Wenn Virchow ruft mit Macht, buddeln wir selbst in der Nacht“, in: Reiner Güntzer (Hrsg.): Jahrbuch der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Bd. VIII, 2002. Berlin 2003, S. 89-104, hier S. 91.

5. Das Märkische Museum in der Weimarer Republik

Ab Beginn des Weltkrieges 1914 ruhen die Aktivitäten des Museums und seines Fördervereins weitgehend, es finden weitaus weniger Objekte als zuvor Eingang in die Sammlung. Nach wie vor finden keine Sonderausstellungen statt. Erst während des Krieges und kurz danach gibt es einige Sonderausstellungen zum Thema Pilze, was mit der krisenbedingten Selbstversorgung der Berliner Bevölkerung zu tun hat. Sie versorgt sich unter anderem mit Pilzen aus dem Umland und soll vor Vergiftungen bewahrt werden.
Bekanntmachung der Pilzberatungsstelle im Märkischen Museum zur Vorbeugung von Vergiftungen.
Brandenburgia: Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatkunde und Heimatschutz in der Mark Brandenburg. XXVII & XXVIII (1918/1919), S. 15.
Büste des Museumsdirektors Otto Pniower. Bronzeguss von August Rhades, um 1930.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Romina Becker
1918 wird Otto Pniower Direktor, der seit 1893 am Haus und seit 1911 Assistent von Direktor (Bürgermeister) Reicke ist. Da die Mitarbeiter:innen des Museums aufgrund von Hoffmanns Anweisungen keine Veränderungen an der Dauerausstellung vornehmen dürfen, beschränkt sich die Museumsarbeit auf die Inventarisierung und die wissenschaftliche Forschung. Letztere, ein neues Aufgabengebiet des Museums, entsteht nicht strategisch, sondern ist an der Person Pniower festzumachen. Er ist promovierter Literaturwissenschaftler und auf seinem Gebiet ein führender Experte. Parallel zum Aufbau einer bedeutenden Literatursammlung am Märkischen Museum publiziert er in bemerkenswerter inhaltlicher Bandbreite und mit großem Fleiß. Heute ist er weitestgehend vergessen, da er als Jude ab 1933 totgeschwiegen wurde.
Auch der Bereich Archäologie erfährt nun besondere Aufmerksamkeit, das Museum professionalisiert seine archäologische Forschung. Eine zentrale Rolle spielt hierbei Dr. Albert Kiekebusch, der zum Assistenten des Direktors wird. Ursprünglich Volksschullehrer, studierte er später Archäologie. Seit 1907 konzentriert er sich auf die vorgeschichtliche Sammlung. In Form von Vorträgen und einer Wanderausstellung für Schulen bringt er die Archäologie einem breiten Publikum näher und verankert das Museum weiter in der Stadtgesellschaft. Sein größter Erfolg ist, dass 1924 Archäologie als Pflichtfach in den Berliner Volksschulen eingeführt wird.
Der wichtigste Archäologe des Märkischen Museums: Albert Kiekebusch, um 1920.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt
Der wichtigste Naturschützer des Märkischen Museums: Max Hilzheimer, um 1920.
Museum für Naturkunde Berlin. Historische Bild- u. Schriftgutsammlungen (Sigel: MfN, HBSB). Signatur: B I / 492 | Foto: unbekannt
Bedingt durch seinen Militärdienst im Weltkrieg konnte der Zoologe Dr. Max Hilzheimer seine Stelle als Assistent für den Sammlungsbereich Naturkunde 1914 zunächst nicht antreten. Erst nach Kriegsende kommt er 1918 ans Museum. Als früher Verfechter des Naturschutzes wird Hilzheimer eine große Bereicherung für das Aufgabenfeld des Museums. Dies kommt besonders ab 1920 zum Tragen, als weitläufige Brandenburger Naturräume nach Berlin eingemeindet werden und nun bedroht sind, als Bauland zerstört zu werden. 1928 wird aus Vertreter:innen der Städtischen Körperschaften und von Organisationen, die am Naturschutz interessiert sind, die „Berliner Kommission für Naturdenkmalpflege“ gegründet. Hilzheimer wird ihr Geschäftsführer und Berlins erster Naturschutzkommissar, was eine weitreichende Verknüpfung des Museums mit dem Stadtraum bedeutet.
Im Jahr 1924 kann Direktor Otto Pniower noch die bescheidene Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Institution gestalten, dann steht 1925 seine Pensionierung an. Obwohl sie dem Magistrat bekannt ist, trifft dieser keine Vorkehrungen zur Nachbesetzung. Vielmehr wird Direktionsassistent Kiekebusch verpflichtet, kommissarisch die Direktion zu übernehmen. Schließlich wird die Stelle noch im selben Jahr für ein Jahr „auf Probe“ ausgeschrieben. Ausgewählt wird der Bewerber Walter Stengel. Der hatte zwar seit 1919 keine fachliche Anstellung mehr, kann aber ein Empfehlungsschreiben von Max Liebermann vorweisen und kennt sich zudem hervorragend mit alter Keramik aus. Dies ist der Stadt Berlin von Nutzen, denn 1925 übernimmt sie die bedeutende Keramiksammlung des Kunsthistorikers Paul Heiland, die möglichst bald der Öffentlichkeit präsentiert werden soll.
Die bescheidene Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Märkischen Museums in Form eines Rechenschaftsberichtes, 1924.
Sammlung Stadtmuseum Berlin – Bibliothek
Der langjährigste Direktor des Märkischen Museums: Walter Stengel, von Anfang 1925 bis Ende 1952 im Amt. Privater Nachlass Walter Stengels.
Sammlung Stadtmuseum Berlin – Hausarchiv
Walter Stengel stammt aus einer vielfältig interessierten Marburger Professorenfamilie. So war sein Vater Edmund einer der Gründer des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“. In Berlin studierte Walter Stengel Kunstgeschichte und promovierte bei dem angesehenen Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin. Dabei kam er mit vielen modernen Künstler:innen in Kontakt, darunter Max Liebermann. Anschließend arbeitete er in mehreren Museen.

Seine erfolgreiche Arbeit zur Keramiksammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg endete 1919, als er sich mit seinem Vorgesetzten über das Verhältnis von städtischen und staatlichen Museen in Nürnberg zerstritt. Obwohl die wirtschaftliche Lage in dieser Zeit politischen Umbruchs sehr ungünstig war, gab er seine Festanstellung auf. Vom Erbe seiner Mutter erwarb er einen Bergbauernhof in Niederbayern, wo er Landwirtschaft betrieb. Als das Geld infolge der Hyperinflation seinen Wert verlor, stellte sich der Kauf als Glücksfall heraus, da Stengel zwar kein Vermögen, aber Lebensmittel besaß.

Nun präsentiert er jährlich Sonderausstellungen. Dafür eignet er sich schrittweise die von Hoffmann gestalteten Räume an, deren Unveränderlichkeit eigentlich festgeschrieben war. Diese Ausstellungen werden sehr beliebt. So bietet beispielsweise „Die Beleuchtung in alter Zeit“ anlässlich einer Aktionswoche der Elektroindustrie die ganze Fülle der zu Friedels Zeit gesammelten Alltagsgegenstände. Größten Zulauf aber erhält Stengels Ausstellung zum 70. Geburtstag von Heinrich Zille . Für sie hatte er den Zeichner, Maler und Fotografen in seiner Wohnung aufgesucht und in dessen Mappen nie gezeigte Werke entdeckt. Der Publikumsandrang ist derart groß, dass Eintrittskarten vorgebucht werden müssen und die Ausstellung verlängert wird.

Große Öffentlichkeit verschafft Stengel die Wiederbelebung des Fördervereins. Für den Verein werden Teestunden vor der Eröffnung von Ausstellungen veranstaltet, kunsthistorische Vorträge und motorisierte Wochenend-Ausflüge in die Mark Brandenburg organsiert. Dies bringt Stengel auch mit möglichen Sponsoren in Kontakt. Das wird wichtig, da Stengel nun auch wertvolle Kunstwerke ankauft – zum ersten Mal in der Geschichte des Museums, das sich bis dahin auf kulturgeschichtliche, naturkundliche und archäologische Objekte konzentriert hatte.

1930 wird für Berlin ein Krisenjahr. Der sogenannte „Sklarek-Skandal“ bringt die Berliner Politik zum Beben. Die drei Brüder Sklarek, Besitzer eines Textilhandels, hatten sich nach der Bildung von Groß-Berlin zehn Jahre zuvor durch „Zuwendungen“ an Vertreter aller Parteien Aufträge zur Ausstattung der neuen Bezirksrathäuser und anderer Verwaltungsgebäude verschafft. Dabei haben sie sich übernommen: Am Ende können sie weder bezahlen noch liefern. Der Skandal fliegt auf, während Oberbürgermeister Gustav Böß gerade seinen New Yorker Amtskollegen in den USA besucht. Dadurch gerät der Fall weltweit in die Schlagzeilen. Im politischen Berlin kämpft nun jeder gegen jeden, aber alle gegen Böß, der noch im selben Jahr zurücktritt.
Karikatur auf das Reinwaschen des Berliner Bären nach dem Sklarek-Skandal. Aus der 1879 gegründeten SPD-Satire-Zeitschrift „Der Wahre Jacob“, 1929
Sammlung Stadtmuseum Berlin – Privatbesitz Willi Steinert | Repro: Dorin Alexandru Ionita
1932 bekommt Berlin wieder einen neuen Oberbürgermeister, den parteilosen Politiker Heinrich Sahm, zuletzt Senatspräsident der Freien Stadt Danzig (heute Gdańsk, Polen). Stengel freundet sich mit Sahm an und kann ihn für seine Vorhaben gewinnen. Deren wichtigstes ist, das stadteigene Ermelerhaus in der Breiten Straße – benannt nach dem früher dort ansässigen Tabak-Fabrikanten – zur Zweigstelle des Märkischen Museums zu machen. Es wird Stengels größter Erfolg. Zwar bleibt das straßenseitige Erdgeschoss weiterhin an den Betreiber eines Tabakwarenladens verpachtet. Im Vorderhaus mit den nach Art des Rokoko und des Klassizismus ausgestalteten Räumen und in den Seitenflügeln aber richtet Stengel Stilzimmer ein. Diese zeigen die Berliner Wohnkultur vom Barock bis zum Jugendstil, womit sich das bürgerliche Publikum besonders identifiziert, denn es findet hier Gebrauchsmöbel wieder, die es von vorangegangenen Generationen der eigenen Familie kennt.

Im Hinterhaus, einem ehemaligen Fabrikgebäude, wird in großen Sälen das „Reich der Hausfrau“ und das „Reich des Kindes“ thematisiert. Die hier gezeigten Räume des 19. Jahrhunderts sind eine absolute Neuerung, da sich die museale Darstellung privater Räume bisher auf die Aufenthaltsbereiche bürgerlicher Männer beschränkte. Gleichwohl ist die Präsentation insofern konservativ, als sie bestehende soziale und geschlechtsspezifische Rollenmuster fortschreibt.
Fassade des Ermelerhauses in der Breiten Straße 11 mit den 1932 wiederhergestellten barocken Sprossenfenstern an den historischen Räumen des 18. Jahrhunderts.
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt

Ende 1932 wird das Ermelerhaus als Ausstellungsgebäude eröffnet und dann jährlich im Bereich der ehemaligen Tabakfabrik auf dem rückwärtigen Grundstücksteil um Räumlichkeiten erweitert – etwa zum Handel, zu Pferden und Kutschen, zur Mode, zur Theatergeschichte oder zur modernen Kunst. Zudem finden im Ermelerhaus auch Bauteile bedeutender Berliner Gebäude einen Platz: Das Treppenhaus des für den Bau der Reichsbank abgerissenen klassizistischen Weidingerhauses und eine barocke Decke von Andreas Schlüters „Alter Post“, die um 1900 abgerissen worden war, werden in der der Dependance verbaut.

Ebenfalls 1932 kommt eine eher subversive Unternehmung Stengels zum Abschluss: Schon 1926 hatte er heimlich begonnen, das Märkische Museum gegen den ausdrücklichen Willen Ludwig Hoffmanns zu elektrifizieren. Er begann damit im Keller. Von dort aus wurden die Kabel nach und nach in die Obergeschosse verlegt und wie ein Efeu „wuchsen“ die Verkabelungen durch das Haus, bis sie schließlich alle Räume erreichten.

Fortsetzung folgt

Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack

150 Jahre Museumsgeschichte

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Das alte Berliner Rathaus, nach 1855
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: Leopold Ahrendts