Ein Museum fürs Museum
von Andreas Bernhard
4. Der Bau des Märkischen Museums
Ludwig Hoffmann wurde 1852 in Darmstadt geboren. Mit seinem Jugendfreund Alfred Messel ging er 1874 nach Berlin, um Architektur zu studieren. Während Messel in den folgenden Jahren zum Architekten der Warenhausbesitzer Wertheim avancierte und schließlich als der deutsche Warenhaus-Architekt gilt, nahm Hoffmann an verschiedenen Architektur-Wettbewerben teil. 1885 gewann er den Wettbewerb zum Neubau für das Reichsgericht in Leipzig.
Eine Vielzahl von Bauaufgaben kommt nun auf Hoffmann zu: Schulen, Stadtbäder, Altenheime, Kliniken und Verwaltungsgebäude entstehen. Hervorzuheben sind das Stadthaus mit seinem charakteristischen Kuppelturm hinter dem Roten Rathaus und der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain. Einen letzten Bau würde er Jahrzehnte später sogar noch im Ruhestand ausführen: das 1930 eröffnete Pergamonmuseum, entworfen von seinem 1906 verstorbenen Freund Alfred Messel. Auch wenn der 1841 verstorbene Karl Friedrich Schinkel ihn an Bekanntheit übertrifft, prägt doch kein anderer Architekt Berlins Stadtbild so sehr wie Hoffmann.
Am Anfang von Hoffmans Berliner Bautätigkeit aber steht der Neubau für das „Märkische Museum“, wie man das Märkische Provinzialmuseum inzwischen nennt. Hoffmann will es in historischer Bauweise ausführen, getrieben von der Idee, es gäbe eine „märkische“ Bauweise. Um sie zu studieren, setzt er eine ausgiebige Dienstreise für sich durch. Sie beginnt zwar in Brandenburg, führt ihn aber weiter durch die Altmark, Schleswig-Holstein, Dänemark – wo ihn die dänischen Kirchenburgen (die dem späteren Museumsbau besonders ähneln, aber ja gar nicht in der Mark Brandenburg liegen) besonders interessieren – und durch Pommern zurück nach Berlin. Ergänzt werden diese Studien später durch eine Dienstreise mit einer Fachgruppe zu den neuesten Landesmuseen im Deutschen Reich, zum Beispiel nach Darmstadt und nach München.
Hoffmann entwirft das Märkische Museum als vielteilige, malerische Baugruppe mit zwei Achsen. Dies bedeutet, dass die einzelnen Baukörper des Gebäudes nicht alle im rechten Winkel zueinander stehen. Teile der Anlage erinnern an gotische Burgen, an Rathäuser, Klöster, Kirchen und Renaissance-Schlösser. Drei Bauteile sind historische Zitate. So ist der Nordflügel dem Altstädtischen Rathaus in Brandenburg an der Havel nachgebildet, der Flügel an der Wallstraße den Kapellen der dortigen Katharinenkirche und der Turm dem Dom zu Ratzeburg, der allerdings nicht zur märkischen Baukunst zählt.
Die Gestaltung des Inneren zielt darauf, bei den Besucher:innen verschiedene Stimmungen zu erzeugen. Das Gebäude umfasst zu diesem Zweck einige „Stilräume“, darunter eine „Waffenhalle“ und eine „Kapelle“, sowie meist etwas rustikal gestaltete Ausstellungsräume. Man verwendet beispielsweise handgeschmiedete Nägel zum Befestigen der nur grob gehobelten Fußbodendielen. Anstatt für den 1892 geforderten zentralen Lichthof entscheidet sich Hoffmann, eine zweigeschossige große Halle zum zentralen Bezugspunkt der Gesamt-Anlage zu machen – architektonisch angelehnt an die Kirchen-Architektur. Er sieht auch authentisch eingerichtete historische Räume vor, wie eine Bauernstube des 18. Jahrhunderts aus dem Spreewald oder ein Biedermeier-Zimmer. Weitere Räume widmen sich der Keramik, ländlichem Handel, berühmten Berlinern, Schauspieler:innen, dem Zunftwesen, der Baugeschichte Berlins und brandenburgischer Landesgeschichte. Es ist ein inhaltlich buntes Programm, das der Rundgang durch die 49 Ausstellungsräume bietet. Der Fokus auf die vorindustrielle Zeit kann heute als im damaligen Kultur- und Geschichtsverständnis begründet verstanden werden – die jüngere Vergangenheit galt damals noch nicht als museumswürdig. Dabei gilt es, die gesellschaftspolitischen Funktionen der Rückbesinnung auf ländliche Kultur kritisch zu hinterfragen.
Eine eigenwillige Idee Hoffmanns ist es, das Gebäude als Tageslichtmuseum zu konzipieren, in dem es keinerlei künstliche Beleuchtung gibt. Er begründet dies damit, dass die Ausstellungsstücke zu ihrer Entstehungszeit ja auch nicht künstlich beleuchtet wurden. Dies wird allerdings die Öffnungszeiten im Winterhalbjahr stark einschränken und zu dem Gerücht führen, man müsse zum Museumsbesuch eine Taschenlampe mitnehmen. Als Bauzeit ist 1899 bis 1902 vorgesehen, zumal das Cöllnische Rathaus 1899 abgerissen wird. Schwierigkeiten mit dem Baugrund verzögern die Fertigstellung jedoch bis 1904. Die Eröffnung lässt noch länger auf sich warten, da sich Hoffmann vorbehält, das Museum selbst einzurichten. Dies tut er in seiner Freizeit an den Sonntagen. Entsprechend langsam schreitet die Arbeit voran. Letztlich dauert es vier Jahre, bis das Gebäude eröffnet werden kann. Es ist unbekannt, warum das Museum und der Magistrat dies dulden.
Am 10. Juni 1908 erfolgt die offizielle Eröffnung des Museums am Köllnischen Park, die von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt wird. Das Berliner Tageblatt meldet daraufhin: „Die einfache Feier, bei der jeder äußere Prunk vermieden war, charakterisierte das Werk, dem sie galt, schon selbst. Statt der sonst üblichen Uniformen und Orden sah man nur den würdigen Gehrock. Das Bürgertum der Stadt dominierte. In der engen Vorhalle drängten sich seine besten Vertreter in behaglichem Gespräch.“Kaiser Wilhelm II. persönlich hatte von Hoffmann schon eine Woche vorher eine exklusive Führung durch das Museum erhalten und sich sehr zufrieden gezeigt.
Zur Zeit der Eröffnung des Neubaus befindet sich das Märkische Museum in einer mittlerweile vielfältigen Museumslandschaft: Neben Altem und Neuen Museum und der Nationalgalerie liegt auf der Spitze der Museumsinsel das 1906 eröffnete Kaiser-Friedrich-Museum. Das Zeughaus heißt seit 1880 „Ruhmeshalle der Preußischen Armee“ und das gegenüber der Museumsinsel gelegene Schloss Monbijou ist seit 1877 Hohenzollernmuseum. An der Prinz-Albrecht-Straße (heute Niederkirchnerstraße) in Kreuzberg eröffnet 1881 das Kunstgewerbemuseum und daneben 1886 das Völkerkundemuseum. An der Invalidenstraße eröffnet 1889 das Naturkundemuseum der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität). Schließlich wird 1899 das von einer Aktiengesellschaft getragene Deutsche Kolonialmuseum am Lehrter Bahnhof eröffnet. Somit ist das Märkische Museum das einzige Regionalmuseum in Berlin während des Kaiserreichs.
5. Das Märkische Museum in der Weimarer Republik
Seine erfolgreiche Arbeit zur Keramiksammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg endete 1919, als er sich mit seinem Vorgesetzten über das Verhältnis von städtischen und staatlichen Museen in Nürnberg zerstritt. Obwohl die wirtschaftliche Lage in dieser Zeit politischen Umbruchs sehr ungünstig war, gab er seine Festanstellung auf. Vom Erbe seiner Mutter erwarb er einen Bergbauernhof in Niederbayern, wo er Landwirtschaft betrieb. Als das Geld infolge der Hyperinflation seinen Wert verlor, stellte sich der Kauf als Glücksfall heraus, da Stengel zwar kein Vermögen, aber Lebensmittel besaß.
Seine Rückkehr in die Kulturwissenschaft führt ihn 1925 ans Märkische Museum. Dort darf er zwar nicht kuratorisch tätig werden, bearbeitet aber erfolgreich die Keramiksammlung Heiland. 1926 wird seine Stelle entfristet und Stengel offiziell zum regulären Direktor erklärt. Im selben Jahr kuratiert er eine Ausstellung, die an die Berliner Tagespolitik anknüpft und so zum Publikumserfolg wird: Die Eröffnung des Flughafens Tempelhof und die Inbetriebnahme des Funkturms bringen Stengel auf die Idee, im noch nie genutzten Turm des Märkischen Museums eine Ausstellung zu zeigen. Dort präsentiert er anhand von „Fliegeraufnahmen“ und Fernrohren in den Turmfenstern die Ausstellung „Berlin von oben“.
Nun präsentiert er jährlich Sonderausstellungen. Dafür eignet er sich schrittweise die von Hoffmann gestalteten Räume an, deren Unveränderlichkeit eigentlich festgeschrieben war. Diese Ausstellungen werden sehr beliebt. So bietet beispielsweise „Die Beleuchtung in alter Zeit“ anlässlich einer Aktionswoche der Elektroindustrie die ganze Fülle der zu Friedels Zeit gesammelten Alltagsgegenstände. Größten Zulauf aber erhält Stengels Ausstellung zum 70. Geburtstag von Heinrich Zille . Für sie hatte er den Zeichner, Maler und Fotografen in seiner Wohnung aufgesucht und in dessen Mappen nie gezeigte Werke entdeckt. Der Publikumsandrang ist derart groß, dass Eintrittskarten vorgebucht werden müssen und die Ausstellung verlängert wird.
Große Öffentlichkeit verschafft Stengel die Wiederbelebung des Fördervereins. Für den Verein werden Teestunden vor der Eröffnung von Ausstellungen veranstaltet, kunsthistorische Vorträge und motorisierte Wochenend-Ausflüge in die Mark Brandenburg organsiert. Dies bringt Stengel auch mit möglichen Sponsoren in Kontakt. Das wird wichtig, da Stengel nun auch wertvolle Kunstwerke ankauft – zum ersten Mal in der Geschichte des Museums, das sich bis dahin auf kulturgeschichtliche, naturkundliche und archäologische Objekte konzentriert hatte.
Um das vom Skandal getrübte Image Berlins aufzupolieren, wird eine riesige Ausstellung in den gesamten Messehallen unter dem Funkturm geplant. Darin soll die historische und gegenwärtige Größe der Stadt beschworen werden. Die Aufgabe kommt Walter Stengel und seinen Mitarbeiter:innen zu, die sich hierfür der zahlreichen Messe-Angestellten bedienen können. Es wird eine Großveranstaltung, die sehr große Resonanz findet und von Stengel rückblickend als „Monstre-Unternehmen“ bezeichnet werden wird. Ganze Straßenzüge Alt-Berlins sind in den Messehallen nachgebaut worden. Stengel gewinnt durch die Ausstellung enorm an Ansehen.
Im Hinterhaus, einem ehemaligen Fabrikgebäude, wird in großen Sälen das „Reich der Hausfrau“ und das „Reich des Kindes“ thematisiert. Die hier gezeigten Räume des 19. Jahrhunderts sind eine absolute Neuerung, da sich die museale Darstellung privater Räume bisher auf die Aufenthaltsbereiche bürgerlicher Männer beschränkte. Gleichwohl ist die Präsentation insofern konservativ, als sie bestehende soziale und geschlechtsspezifische Rollenmuster fortschreibt.
Ende 1932 wird das Ermelerhaus als Ausstellungsgebäude eröffnet und dann jährlich im Bereich der ehemaligen Tabakfabrik auf dem rückwärtigen Grundstücksteil um Räumlichkeiten erweitert – etwa zum Handel, zu Pferden und Kutschen, zur Mode, zur Theatergeschichte oder zur modernen Kunst. Zudem finden im Ermelerhaus auch Bauteile bedeutender Berliner Gebäude einen Platz: Das Treppenhaus des für den Bau der Reichsbank abgerissenen klassizistischen Weidingerhauses und eine barocke Decke von Andreas Schlüters „Alter Post“, die um 1900 abgerissen worden war, werden in der der Dependance verbaut.
Ebenfalls 1932 kommt eine eher subversive Unternehmung Stengels zum Abschluss: Schon 1926 hatte er heimlich begonnen, das Märkische Museum gegen den ausdrücklichen Willen Ludwig Hoffmanns zu elektrifizieren. Er begann damit im Keller. Von dort aus wurden die Kabel nach und nach in die Obergeschosse verlegt und wie ein Efeu „wuchsen“ die Verkabelungen durch das Haus, bis sie schließlich alle Räume erreichten.
Fortsetzung folgt
Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack