„10 Objekte neu sichten“

In der ersten Jahreshälfte 2023 haben sich Mitarbeitende der Stiftung Stadtmuseum Berlin intensiv mit ausgewählten Objekten aus kolonialen Kontexten, die in der Sammlung Online des Stadtmuseums Berlin zu sehen sind, auseinandergesetzt.

von Kompetenzstelle DeKolonisierung

Diese Objekte bilden ein breites Spektrum in Bezug auf Sammlungen, Themen und Fragestellungen ab. Zuvor war ihre koloniale bzw. kolonialrassistische Dimension im Stadtmuseum Berlin nicht genauer untersucht worden. Die am Projekt beteiligten Mitarbeiter:innen sind überwiegend weiß* positioniert.

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Weiß meint nicht die Hautfarbe, sondern beschreibt eine dominante, privilegierte, gesellschaftliche Position in einer durch Rassismus geprägten Gesellschaft, die meist nicht hinterfragt wird.

Welche Objekte wurden neu betrachtet?

  • Zwei Fotografien, die im Zusammenhang mit der kolonialrassistischen Zurschaustellung von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind.
  • Eine Grafik von Heinrich Zille aus dem Jahr 1913, die einen Schwarzen Mann und eine Gruppe weißer Kinder am Wannsee zeigt.
  • Ein Jubiläumsalbum der Berliner Firma Ebell, die mit Wolle handelte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Niederlassungen unter anderem in Südafrika hatte.
  • Ein Ring aus Elefantenhaar, der wohl vom Ethnologen Wilhelm Joest 1879 aus Siam (heute: Thailand) nach Berlin verbracht wurde.
  • Eine Preisliste des Kolonialwarengeschäfts Bruchmüller in der Frankfurter Allee von 1897/98.
  • Spielfiguren für Kinder aus der Hälfte des 20. Jahrhunderts, die kolonialrassistische Vorstellungen über die Indigenen Bevölkerungen Nordamerikas bedienen.
  • Ein Fromms Kondom aus Naturkautschuk, in den 1960er Jahren in der DDR produziert. Hier interessiert die Frage nach der Kolonialität des Rohstoffs Kautschuk.
  • Vier Gläser mit militärischen Motiven aus der Zeit des deutschen Kolonialismus. Eines nimmt expliziten Bezug auf die Gewaltausübung in den Kolonialgebieten.

Ziel dieser ersten Projektphase war es

  1. museumsintern untereinander ins Gespräch zu kommen über die kolonialen Dimensionen von Objekten in der Sammlung und
  2. anhand einiger weniger ausgewählter Objekte beispielhaft in die Tiefe zu gehen und dabei übergeordnete Fragen zu besprechen.

Im Rahmen von zwei museumsinternen Workshops im Frühjahr und Sommer 2023 haben die Projekt-Beteiligten den jeweiligen Recherche-Stand, offene Fragen und Ideen für die weitere Arbeit mit dem Objekt vorgestellt. Eine große Rolle spielte dabei die Frage, wie die Objekte in der museumseigenen Datenbank angemessen erfasst und beschrieben werden können.

Bei dieser ersten Auseinandersetzung mit den Objekten sind bereits viele interessante, komplexe und teils noch unbekannte Geschichten zutage getreten. Dabei war es wichtig festzuhalten:

Ein Objekt erzählt immer mehrere Geschichten.

Der aktuelle Versuch, ein Objekt aus einer dekolonialen Perspektive zu betrachten, heißt nicht zwingend, „alte“ bzw. andere Geschichten durch „neue“ Geschichten zu ersetzen. Vielmehr ist es eine Erweiterung der Perspektiven.

Ein Thema, das in der Arbeit mit Objekten aus kolonialrassistischen Kontexten immer präsent ist, ist der Umgang mit rassistischen Textinhalten und Bildmotiven. Auch in diesem Projekt muss sich das Museum der Frage stellen, welche Bilder gezeigt werden, unter welchen Umständen – und vor allem, warum sie gezeigt werden sollen.

Aus Sicht der Kompetenzstelle DeKolonisierung ist ein sensibler, rassismuskritischer Umgang wesentlich. Entsprechende Strategien des Zeigens oder des Nicht-Zeigens werden derzeit diskutiert und erprobt. Ebenso wird die Erstellung eines Glossars zur Orientierung bei inhaltlichen wie sprachlichen Unsicherheiten erörtert.

Externe Perspektiven zulassen

Viele Punkte, die in der Projektgruppe diskutiert wurden, gelten nicht nur für Objekte aus kolonialen Kontexten, sondern für Objekte generell: So die Erkenntnis, dass die eigene Perspektive und Expertise immer begrenzt ist und es sinnvoll und gut ist, weitere, auch externe Perspektiven in die Arbeit mit Objekten miteinzubeziehen.

Deutlich wurde:

Das Museum bzw. die Sammlung braucht eine klare Haltung. Ein rassismuskritisches Verständnis von Museumsarbeit muss auch in den Sammlungen implementiert werden.

Derzeit ist die Projektgruppe damit befasst, den bisherigen Stand der Ergebnisse in der museumsinternen Objektdatenbank festzuhalten. Darüber hinaus werden teilweise Recherchen noch fortgesetzt.

„Revisiting Collections“

Das Projekt ist unter anderem von der Methode „Revisiting Collections“ aus Großbritannien inspiriert. Diese zielt auf eine mehrschrittige Neusichtung von Objekten aus Museumssammlungen ab. Dabei geht es auch darum, museumsintern einen neuen Blick auf Objekte zu richten, die bisherige Art und Weise ihrer Erschließung, Beschreibung und Form der Präsentation kritisch zu hinterfragen sowie neue Blickwinkel hierauf einzunehmen.

In einem weiteren Schritt werden diese Objekte mit Menschen außerhalb des Museums disktutiert und ihren Perspektiven auf diese Objekte zugehört. Hier geht es um die Aktivierung und Wertschätzung einer großen Bandbreite an Wissensbeständen – also nicht nur um, zum Beispiel, klassisch-wissenschaftliche Expertise, sondern auch um Erfahrungswissen, emotionale und auch kreative Zugänge zu den Objekten. Dahinter steht nicht zuletzt die Überzeugung, dass eine professionelle Auseinandersetzung mit einem Objekt immer auch subjektiv und begrenzt ist.

In einer zweiten Phase des Projekts möchte die Kompetenzstelle DeKolonisierung externe Perspektiven einbeziehen. Ein Konzept hierfür ist noch in der Ausarbeitung.

Hintergrund

Das Pilotprojekt „10 Objekte neu sichten“ knüpft an das vorangegangene Pilotprojekt „Koloniale Spuren“ (20221/22) an und reiht sich in die übergeordnete Zielsetzung der Kompetenzstelle DeKolonisierung ein, schrittweise Strategien der dekolonialen Erschließung und (Weiter-)Entwicklung der Sammlung des Stadtmuseums Berlin zu erarbeiten.

Kompetenzstelle DeKolonisierung

Dekoloniale Museumspraxis entwickeln, erproben und langfristig in Institutionen zu verankern: Das ist das Anliegen der 2022 gegründeten Kompetenzstelle DeKolonisierung am Stadtmuseum Berlin.