Ab 1924 wurden die dampfbetriebenen Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen schrittweise ausgebaut und elektrifiziert. 1930 in „Stadtbahn“ (S-Bahn) umbenannt, wuchs das Streckennetz bis zum Zweiten Weltkrieg auf fast 300 Kilometer, das Fahrgastaufkommen bis 1943 auf mehr als 700 Millionen Reisende. Ab 25. April 1945 kam der S-Bahn-Betrieb infolge des Endkampfs um Berlin und der dadurch bedingten Stromausfälle zum Erliegen.
Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches übertrugen die alliierten Siegerstaaten den Eisenbahn-Betrieb und damit auch die Berliner S-Bahn an die Deutsche Reichsbahn (DR) in der sowjetischen Besatzungszone. Schnell wurde das für die Großstadt lebensnotwendige Verkehrsmittel von den Kriegsschäden befreit und 1947 war fast das gesamte Netz wieder befahrbar.
Mit der S-Bahn durchs zerstörte Berlin
Der Bildjournalist Harry Croner unternahm mit seiner Kamera 1947 eine S-Bahn-Fahrt vom Bahnhof Zoo im Westen der Stadt zum Bahnhof Jannowitzbrücke im Osten – und wieder zurück. Ihm gelangen dabei eindrucksvolle Aufnahmen der noch weitgehend kriegszerstörten Stadt.
Der Abstieg beginnt
Schon die politische Teilung der Stadt 1948/49, spätestens aber der Bau der Berliner Mauer 1961 leiteten den Niedergang des einst weltweit modernsten Verkehrssystems auf West-Berliner Gebiet ein. Auch hier blieb die DR als Staatsbetrieb der DDR für die S-Bahn zuständig. Die Berliner S-Bahn wurde zu einer politischen Angelegenheit.S-Bahn-Boykott 1961
Kurz nach Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961 riefen der Regierende Bürgermeister West-Berlins, Willy Brandt, und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Menschen in West-Berlin zum Boykott der S-Bahn auf. Es war ein Protest gegen die Mauer. Dieser Aufruf an die Bevölkerung zeigte Wirkung: Wer mit der S-Bahn fahre, verhelfe der DDR zu Devisen und unterstütze mit „Westgeld“ den Stacheldraht, hieß es.
Busse statt S-Bahn
Um die West-Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) dabei zu unterstützen, den wegen des Boykotts gestiegenen Personenverkehr zu bewältigen, stellten westdeutsche Großstädte solidarisch Autobusse zur Verfügung. So schrieb der Pressebilderdienst Kindermann zu dem nebenstehenden Bild:„Zur Unterstützung der vom Westberliner S-Bahn-Boykott überbeanspruchten BVG-Linien trafen Omnibusse aus Westdeutschland ein und nehmen ihren Westberliner Kollegen einen Teil der Fahrgäste ab. Als Solidaritätserklärung aufgrund eines Aufrufes der ÖTV-Gewerkschaft, werden im Laufe dieser Woche noch Busse aus anderen Städten Westdeutschlands in Berlin eintreffen, die auf unbegrenzte Zeit hier stationiert sein werden und den normalen Liniendienst fahren werden. Die 19-Linie auf der Tauentzienstrasse befährt u. a. jetzt auch ein Omnibus aus Hamburg.“
Zudem hatte die BVG schon vorher Buslinien eingerichtet, die in direkter Konkurrenz zur S-Bahn parallel zu deren Strecken fuhren. So gab es ab 1958 die Linie A65. Für sie wurden auf der neu gebauten Stadtautobahn (heute A 100) Haltestellen eingerichtet, die – längst stillgelegt – immer noch erkennbar sind.
U-Bahn-Ausbau
Auch das U-Bahn-Netz wurde in der Folge weiter ausgebaut. Es entstanden neue Strecken, die teils ebenfalls parallel zu denen der S-Bahn verliefen, wie die Verlängerung der heutigen U7 nach Spandau.
Da viele Menschen in West-Berlin die S-Bahn nun dauerhaft mieden und auf den Bus, die U-Bahn oder den motorisierten Individualverkehr umstiegen, blieben auch die noch verkehrenden Züge häufig leer. Das einst moderne Nahverkehrssystem war zum Museumsstück geworden.
Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack