Hans Christof Drexel: „Die Blumenfrau“ (Öl auf Leinwand, 114 x 103 cm), 1927/28
© Hans Christof Drexel / Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Oliver Ziebe

Spurensuche nach „entarteter Kunst“

„Die Blumenfrau“ von Hans Christof Drexel: ein Beitrag aus der Provenienzforschung des Stadtmuseums Berlin.

von Deborah Pomeranz

Hans Cristof Drexels Blumenfrau (1927/1928), mit ihrem gelben Hut und überdimensionierten Blütenkorb, wirkt eher zierlich als staatszerstörerisch. Aber in der Kulturideologie des Nationalsozialismus hatte sie die Macht, seinem totalitären, antisemitischen und rassistischen Vorhaben im Weg zu stehen.

Überzeugt, dass regimekonforme Kunst ein regimekonformes Volk erzeugt, ließ das nationalsozialistische Regime im Sommer 1937 Kunstwerke der Moderne aus öffentlichen Sammlungen entfernen. Die für Jugendliche verbotene Ausstellungsreihe „Entartete Kunst“ zeigte der Öffentlichkeit eine Auswahl dieser verunglimpften Kulturobjekte ein letztes Mal, ehe ihre endgültige Zerstörung oder der Verkauf gegen Devisen erfolgte. Mithilfe seiner Kontakte im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda erwarb der Kunsthändler Bernhard Böhmer Hunderte dieser für „undeutsch“ erklärten Kunstwerke.

Das Gemälde „Die Blumenfrau“ hatte die Nationalgalerie nach der nationalsozialistischen Machtergreifung aus der Schausammlung genommen. Nun wurde es beschlagnahmt und zusammen mit Werken anderer moderner Künstler:innen in der Eröffnungsausstellung der Reihe in München gezeigt, um die vermeintliche Exzesse, gar Gefahren der Moderne zu beweisen. Im Anschluss daran kaufte sie Böhmer für fünf Dollar. 

Ein Raum im Erdgeschoss der Ausstellung „Entartete Kunst“ in den Hofgartenarkaden, München, Sommer 1937. „Die Blumenfrau“ hängt am Fensterpfeiler links im Vordergrund.
© Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv

Nach der Niederlage des Nationalsozialismus war der Umgang mit den aus Museen beschlagnahmten Kunstwerken umstritten. Sollten sie bei ihren aktuellen Besitzer:innen verbleiben? Einerseits würde dieses nicht nur einen Erfolg der NS-Kulturpolitik bedeuten, indem die als „entartet“ verfemten Stilrichtungen kaum in öffentlichen Einrichtungen zu sehen wären, sondern auch die kollaborierenden Kunsthändler:innen bereichern. Andererseits durften öffentliche Sammlungen als ehemaliger Teil des NS-Staats nicht behaupten, dessen Opfer gewesen zu sein. Während die westlichen Besatzungsmächte – und auch die heutige Bundesrepublik – den letzteren Gesichtspunkt vertraten, versuchte man in der sowjetischen Zone, die Kunst für die öffentliche Hand wieder zu sichern.

In Berlin kümmerte sich das Referat Rückführung von Kunstgütern des Magistrats um die Sicherstellung von geraubtem, gefährdetem oder als „herrenlos“ betrachtetem Kulturgut. Referatsmitarbeiter Kurt Reutti fuhr 1947 nach Güstrow, dem letzten Wohnort Bernhard Böhmers, um die in seinem Nachlass befindliche beschlagnahmte Kunst zu bergen. 1949 lieferte er einige dieser Werke den Berliner Museen, darunter „Die Blumenfrau“.

Die erste, vernichtete Fassung von August Wilhelm Dresslers „Die Verlobten“.
© Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv
Ein zweites aus der Nationalgalerie entferntes Gemälde kam aber nie nach Berlin zurück: „Die Verlobten“ (1925) von August Wilhelm Dressler wurde laut dem Verzeichnis der Beschlagnahmen vernichtet. Vielleicht verbrannte es in der berüchtigten Kunstverbrennung am 20. März 1939 im Hof der Berliner Hauptfeuerwache, nachdem es bei der Berliner Station der Ausstellung „Entartete Kunst“ zum letzten Mal zu sehen gewesen war.

In der Nachkriegszeit malte Dressler eine neue Fassung der „Verlobten“, welche die Kunstankaufskommission des Berliner Magistrats im November 1950 erwarb. Damit folgte die Kommission der neuen Berliner Kulturpolitik, die ein Gegenzeichen zum Nationalsozialismus setzen und lebende Künstler:innen in der Stadt unterstützen sollte.

Im Zuge einer Aufteilung städtischer Kunst zwischen dem Märkischen Museum und den Staatlichen Museen bekam das erstere im Sommer 1951 sowohl „Die Blumenfrau“ als auch die neue Fassung der „Verlobten“. Diese zwei Gemälde in der Sammlung des heutigen Stadtmuseums Berlin vertreten die Berliner Novembergruppe und ihre radikalen ästhetischen und politischen Bestrebungen. Ihr Weg in das Museum bezeugt zudem die Verachtung, der sich diese Bewegung in der Folgezeit ausgesetzt sah, die Brandmarkung ihrer Schöpfungen als verdorben und gefährlich sowie das bis heute andauernden Erfordernis, sich mit den Folgen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und seine Ideologie zu widerlegen.

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