Seit fast zwei Jahrhunderten sind Baukästen aus Berliner Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken. So finden sich verschiedene Exemplare auch in der Sammlung des Stadtmuseums Berlin. Sie zeugen spielerisch von einer teils rasanten Entwicklung des technischen Fortschritts – und von starren Rollenbildern, die sich im Verlauf der Geschichte immer wiederholen.
Die Anfänge der Baukästen
Die ersten „Bauklötze“, zunächst noch in einfachen Formen wie Würfeln aus Holz, wurden von dem Pädagogen und Naturwissenschaftler Friedrich Fröbel (1782 – 1852) entwickelt, dem Begründer des gleichnamigen Kindergartens. Bis ins 19. Jahrhundert hinein hatten Kinder überwiegend im Freien gespielt. Mit den Bausteinen hingegen sollte nur im Haus gespielt werden. Im Unterschied zu heute durften sich die Kinder damals jedoch nicht frei im Spiel entfalten.
Baukasten-Hersteller
Fröbel und Pestalozzi legten also das Fundament für die weitere Entwicklung der Baukästen. Doch auch die Erfindungen des Baumeisters und Sozialreformers Gustav Lilienthal (1849 – 1933), dem Bruder des berühmten Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal (1848 – 1896), waren dafür von großer Bedeutung. Gustav Lilienthal verwendete als Material für Baukästen unter anderem Papier und Pappe. Wellpappen wurden mit Stäbchen zusammengefügt1. Als er seine Erfindungen 1888 patentieren ließ, enthielten seine Baukästen schon hölzerne Bauteile, die sogenannten Lochbänder1. Diese Leisten, die zur Montage mit anderen Bauteilen in regelmäßigen Abständen mit Löchern versehen sind, werden noch heute in Baukästen verwendet. Sie fanden sich später auch in den Meccano-Metallbaukästen des britischen Erfinders und Geschäftsmanns Frank Hornby (1863 – 1936). Auf den Deckelbildern dieses Konstruktionsspielzeugs traten bis 1900 zunehmend Abbildungen spielender Jungen in den Vordergrund.
Eine weitere Erfindung Gustav Lilienthals waren die aus Sand, Leinöl und Schlämmkreide in verschiedenen Formen und Farben gepressten „Anker-Steine“, die für Jahrzehnte zu einem Inbegriff des Baukastens werden sollten. Doch reich wurde mit dieser Erfindung nicht Lilienthal, sondern andere. Zum kommerziellen Durchbruch gelangte diese Art der Baukästen erst durch Friedrich Adolf Richter (1846 – 1910) und die ursprünglich bei Richter beschäftigten Gebrüder Keller (Ende des 19. Jahrhunderts). Sie betitelten ihre Baukästen fast so wie Richter, führten aber auch eigenständig Neuerungen ein, wie die Verwendung von Metall als Baumaterial. 1910 kaufte Richter die inzwischen insolvente Fabrik der Kellers auf und stellte die Brüder wieder in seinem Unternehmen ein1. 1913 brachte Richter dann seinen eigenen Metallbaukasten „Imperator“ heraus1. Mit dem Anker als Logo wurden die Kästen Richters als Anker-Baukästen bekannt. Auf den Deckelbildern waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Teil auch wieder spielende Mädchen abgebildet.
Baukästen nur für Mädchen
Ab 1917 fand sich ein neuer Firmenname im Berliner Handelsregister: „Walther & Co.“ Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der von Walther produzierten „Stabil“-Metallbaukästen. Sein Wahlspruch ließ zunächst keinen Zweifel, an wen sich das neue Produkt richtete: „Der Knaben schönstes Spiel das ist und bleibt stabil“1. In den 1930er Jahren stellte Walther aber auch spezielle Baukästen für Mädchen her. Der Wahlspruch von 1938 lautete dementsprechend: „Das was Stabil für Knaben, ist Stabila für Mädchen“1. Dieser Kasten ähnelte dem für Jungen, enthielt aber auch Wolle zum Ausstatten von Puppenhäusern1. Die auf dem Deckel abgebildete Frau erinnerte dabei sowohl an die berühmte Fliegerin Elly Beinhorn als auch an Walthers eigene fortschrittliche Frau1. Hier wurde die beginnende Frauenemanzipation sichtbar.
Baukästen in kriegerischen Zeiten
Spielzeug bildete schon immer die Welt im Kleinen ab. So spiegelte sich auf den Deckelbildern der Baukästen in Friedenszeiten der normale Alltag mit Motiven wie Eisenbahnen, Brücken, Fuhrwerken und Kränen. In kriegerischen Zeiten veränderten sich die Baukästen in Bezug auf Motiv und verwendete Materialien. So wurden aufgrund von Rohstoffmangel zum Beispiel Metallabfälle für die Herstellung von Baukästen verwendet. Die Deckelbilder sprachen mit Motiven wie Kriegsschiffen speziell das männliche Geschlecht an. Johann Korbuly (geb. 1892), der 1919 das Unternehmen seines Vaters übernommen hatte, musste die Produktion der „Matador“-Holzbaukästen während des Zweiten Weltkrieges sogar ganz einstellen und stattdessen Verpackungen für die Rüstungsindustrie herstellen. Erst nach Kriegsende kehrten die Holzbausteine mit ihren markanten Bohrungen für Verbindungsstäbchen in die Kinderzimmer zurück (1).
Von der Nachkriegszeit bis heute
Später in der DDR gab es Bausteine in Tonnen und Kästen wieder gleichberechtigt für Jungen und Mädchen – im Gegensatz zu den meist für Jungen gedachten, traditionellen Geschlechterbildern folgenden Baukästen in der Bundesrepublik. In den 1960er Jahren kamen in beiden Teilen Deutschlands auch einfache elektrische Baukästen auf den Markt.
Ebenfalls in den 1960er Jahren entstand unter dem Namen „Fischertechnik“ ein Baukastensystem mit Bausteinen aus zunächst grauem und rotem Kunststoff, ergänzt um Elektronik- und Metallbauteile. Die ersten Baukästen des Unternehmers und Dübel-Herstellers Arthur Fischer (1919 – 2016) entstanden 1964 als Werbegeschenke. 1965 folgten 1000 „Fischertechnik“-Baukästen für die „Aktion Sorgenkind“ (die heutige „Aktion Mensch“). Nur ein Jahr später wurde zur Herstellung des neuen Baukastensystems ein Werk in Salzstetten (Schwarzwald) gebaut. Es folgte eine rasante Entwicklung. 1970 wurden Lernbaukästen für den Unterricht in Schulen hergestellt. In den 1980er Jahren zog die Computertechnik in das Baukastensystem ein, gefolgt von Baukästen für viele naturwissenschaftliche Richtungen, bis hin zur Einführung von Baukästen für 3D-Drucker (2016) und Robotik (2017).
Literatur:
1 Baukästen, Ulf Leinweber, Drei Lilien Edition, SS. 35, 47, 87, 89, 94, 281
2 Pestalozzis Ausgewählte Werke III, Hermann Beyer, Langensalza, Verlags-Comptoir 1870 S. 88, 2. Abs., Z. 4