Charlotte Berend-Corinth, Selbstbildnis, 1921
© Friedhelm Oriwol-Walchenseemuseum Urfeld

Charlotte Berend-Corinth

Die Künstlerin hinter dem Künstler: Obgleich hoch talentiert und vom Wunsch beseelt, Künstlerin zu sein, bleibt Charlotte Berend-Corinth (1880 – 1967) lange Jahre auf die Rolle als Ehefrau und Muse des Malers Lovis Corinth beschränkt. Dennoch setzt sie schon früh künstlerische Akzente. Nach dem Tode ihres Mannes spielt sie in der Kunstszene von Berlin eine zentrale Rolle und erwirbt sich als Malerin einen internationalen Ruf. 

Charlotte Berend wird am 25. Mai 1880 als zweite Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Berlin geboren. Nahe dem Tiergarten im aufblühenden Westen der Stadt wachsen die Mädchen gut behütet heran. Bedienstete sorgen für den häuslichen Komfort, denn der Baumwollhandel des Vaters bringt Gewinn und die Mutter stammt aus wohlhabendem Hause. Beim Zeichenunterricht in der nahegelegenen Charlottenschule findet Charlotte schon früh ihre Berufung: Künstlerin.

Der Vater hätte sie lieber als Ehefrau versorgt gesehen, da sich im Baumwollhandel die Konkurrenz aus Übersee zunehmend bemerkbar macht und er sich um ihre wirtschaftliche Zukunft sorgt. Doch weil er ihr Talent bemerkt und auch die in der Öffentlichkeit immer lauter werdenden Forderungen nach mehr Selbstbestimmung für Frauen respektiert, erlaubt er ihr 1898 das Studium an der Staatlichen Kunstakademie in der Klosterstraße.

Nur zwei Jahre später endet Charlottes sorgenfreies Leben: Nachdem er mit Finanzspekulationen an der Börse sein ganzes eigenes Vermögen und sogar treuhänderisch verwaltetes Geld verloren hat, erschießt sich ihr Vater. Die Mutter muss daraufhin die inzwischen bezogene Wohnung in der Kantstraße aufgeben und mit den Töchtern in eine kleinere am Halensee umziehen. Für das Studium fehlt nun das Geld, und Charlotte muss sich mit preisgünstigerem Privatunterricht zufrieden geben. So wird sie 1901 Schülerin an der „Malschule für Weiber“ von Lovis Corinth.

Charlotte Berend im weißen Kleid, Gemälde von Lovis Corinth, 1902
© Stadtmuseum Berlin

Muse, Mutter, Malerin

Auf Anhieb verliebt sich der 43 Jahre alte Künstler in die 21-jährige Charlotte. Die junge, kokett auftretende Schülerin begleitet den bekannten und begehrten Junggesellen schon bald in der Öffentlichkeit. Er beginnt, sie zu portraitieren. Auf einer Studienreise an die Ostsee kommen sich die beiden dabei immer näher, und 1904 heiratet das Paar. Als moderner Freigeist behält Charlotte ihren Namen und nimmt zusätzlich den ihres Ehemanns an.

Sieben Monate später kommt der gemeinsame Sohn Thomas zur Welt. Auf das gewohnte Künstlerleben will Lovis trotz Familie nicht verzichten, deshalb kümmert sich Charlotte Berend-Corinth um Haushalt, Kind und Ehemann. Zudem steht sie ihm auf seinen Wunsch hin immer wieder Modell – rund neunzigmal in zwanzig Jahren. Obwohl sie 1906 Mitglied der Künstlergruppe Berliner Secession wird und 1908 mit ihrem ersten ausgestellten Gemälde überzeugt, findet Charlotte zwischen häuslichen Pflichten und ihrer Rolle als Muse und Künstlerfrau wenig Zeit, selbst Künstlerin zu sein – zumal sie mit Tochter Wilhelmine 1909 ein zweites Kind bekommt.

1911 erleidet Lovis einen Schlaganfall, worauf Charlotte ihn bis zu seiner Genesung pflegt. Oft steht sie am Rande der Erschöpfung. Trotzdem spornt sie sich selbst an zu malen, später auch zu zeichnen. Sie illustriert Christian Andersens Märchen „Die kleine Seejungfrau“, skizziert und portraitiert bekannte Persönlichkeiten aus Schauspiel und Kunst, darunter die Berliner Diva Fritzi Massary und die skandalumwitterte Tänzerin Anita Berber. 

Als sich die Familie 1919 ein Sommerdomizil in Urfeld am Walchensee (Bayern) einrichtet, hätte Charlotte Berend-Corinth endlich Zeit und Muße, nach der sie sich seit Jahren sehnt. Doch ihr Mann verbietet ihr, dort zu malen. Er allein hält die Landschaftsimpressionen auf der Leinwand fest. Charlotte fügt sich und fertigt in aller Heimlichkeit nur eine Handvoll Skizzen. 1925 erkrankt Lovis Corinth auf einer Reise in die Niederlande schwer. Am 17. Juli erliegt er einer Lungenentzündung.

Reisen und Exil

Nach dem Tode ihres Mannes beginnt Charlotte Berend-Corinth damit, ein umfassendes Verzeichnis seiner Werke zu erstellen – ein Lebensaufgabe, die sie erst 1958 abschließen wird. Zugleich setzt sie sich für den Fortbestand der Berliner Secession ein, deren Vorsitzender Lovis Corinth seit 1911 für viele Jahre war. Vor allem aber setzt sie nun ihr künstlerisches Schaffen fort. In der Berliner Klopstockstraße, wo sie bei Lovis Corinth in die Schule ging, eröffnet sie 1927 ihre eigene Malschule. Sie unternimmt Studienreisen in den Orient, nach Dänemark und nach Italien, wo sie den größten Teil der 1930er Jahre verbringt.

In dieser Zeit entstehen insbesondere Landschaftsaquarelle von sehr eigenem, geradlinigen Stil und unverwechselbarem Bildaufbau, mit denen sie erstmals auch auf Ausstellungen in den USA vertreten ist. In Deutschland hat unterdessen der Nationalsozialismus die Macht übernommen. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ist Charlotte Berend-Corinth hier weder erwünscht noch sicher. So folgt sie 1939 ihrem bereits in den USA lebenden Sohn nach Übersee – wie auch Tochter Wilhelmine einige Jahre später.  Viele ihrer in der Heimat verbliebenen Werke gehen verloren.

Im US-amerikanischen Exil entstehen weitere Landschaftsaquarelle sowie Stilleben und Portraits. Eine neu eröffnete Malschule sichert Charlotte Berend-Corinth den Lebensunterhalt. Nach dem Ende von NS-Zeit und Zweitem Weltkrieg kehrt sie nur noch gelegentlich nach Europa und nach Deutschland zurück, wo ihre Werke nun wieder gezeigt und geschätzt werden. 1956 sind ihre Bilder im Kunstamt Reinickendorf zu sehen, 1957 in München und kleineren Städten der Bundesrepublik. Im Juli 1967 richtet die Nationalgalerie in Ost-Berlin eine große Sonderausstellung für sie aus, an deren Vorbereitung sie mitwirkt. Doch die Eröffnung erlebt sie nicht mehr. Charlotte Berend-Corinth stirbt am 10. Januar 1967 in New York.

Mehr Berlin-Geschichten