Claire Waldoff

Mit frechen, humorvoll vorgetragenen Liedern im Berliner Dialekt wurde die Sängerin, Kabarettistin und Feministin Claire Waldoff (1884 – 1957) zur Ikone des Berliner Varietés.

von Anne Franzkowiak
Claire Waldoff, Foto-Postkarte, ca. 1922-1932
© Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt
  • 1884 geboren am 21. Oktober in Gelsenkirchen als Clara Wortmann
  • 1896 Besuch des Mädchengymnasiums in Hannover
  • 1901 – 1904 erste Engagements an Schauspielbühnen in Bad Pyrmont und Kattowitz (heute Katowice, Polen)
  • 1906 Umzug nach Berlin, Bühnenerfolg am „Figaro-Theater“ (Charlottenburg)
  • 1907 Debut am Kabarett „Roland von Berlin – Künstlerbühne Admiralspalast“ in der Potsdamer Straße (Schöneberg) mit Walter Kollos Lied vom „Schmackeduzchen“
  • 1908 Engagement am Kabarett „Chat Noir“ in der Potsdamer Straße
  • 1909 am Linden-Cabaret in der Friedrichstraße (Mitte), dort 1913 Erkennungsmelodie „Herrmann heeßt er“ von Ludwig Mendelssohn
  • 1917 Köchin Auguste in Walter Kollos Operette „Drei alte Schachteln“ im Theater am Nollendorfplatz (Schöneberg)
  • ab 1924/25 in Eric Charells Ausstattungsrevuen, Karriere-Höhepunkt mit Revue-Auftritten in den Varietés „Scala“ (Schöneberg), „Plaza“ (Friedrichshain) und „Wintergarten“ (Mitte) sowie Tourneen durch Deutschland
  • 1939 Übersiedlung nach Bayerisch Gmain bei Bad Reichenhall
  • 1957 gestorben am 22. Januar in Bad Reichenhall, beigesetzt auf dem Stuttgarter Pragfriedhof
Claire Waldoff, 1910
© Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt

Der „Stern von Berlin“

„Eine Sängerin, blutjung, temperamentvoll, wild, berlinisch, proletarisch, fast mehr Mann als Frau – eine hinreißende, das Publikum entweder abstoßende oder einfach umwerfende Erscheinung…“, so beschrieb der Kabarettist Willi Schaeffers seine Kollegin Claire Waldoff, die 1908 am Kabarett „Chat Noir“ engagiert war. Nur wenige Monate zuvor war sie auf der Bühne des „Roland von Berlin“ über Nacht zum „Stern von Berlin“ geworden. Großen Anteil an diesem gelungenen Debut der 23-jährigen Autodidaktin hatte ihr ebenso junger Kollege, der Komponist und Pianist Walter Kollo, der ihre ersten Auftrittslieder schrieb.

Claire Waldoffs Markenzeichen waren ihre brandroten Locken und eine schlichte Bühnenkleidung – Rock, Hemdbluse und Schlips. Sie besaß einen unvergleichlichen Vortragsstil, der so auf einer Kabarettbühne noch nie zu erleben gewesen war. Statt ausladender theatralischer Gesten unterstrich sie ihre Darbietungen mit einfachster, aber äußerst wirkungsvoller Mimik. Ihre Lieder erzählten vom Alltag der kleinen Leute, den sie auf den Straßen, in den Laubenkolonien und in den Kneipen Berlins studierte.
Hörstück aus der Ausstellung „BerlinZEIT“ im Museum Ephraim-Palais
„Ick selbst: Claire Waldoff.“
Oft kehrte Waldoff mit ihren Bühnenkolleg:innen im „Restaurant Stallmann“ in der Jägerstraße 14 (Mitte, nahe Gendarmenmarkt) ein oder  besuchte den „Toppkeller“ in der Schwerinstraße (Schöneberg), ein vor allem bei lesbischem Publikum beliebtes Tanzlokal. Berliner Lebensart und Jargon erlebte sie unmittelbar im Restaurant „Zum Nussbaum“ in der Fischerstraße (Mitte, Fischerinsel), in dem sie manchen Abend an der Seite ihres Freundes Heinrich Zille verbrachte.

Diese Erfahrungen flossen direkt in ihr Repertoire ein. Sie selbst verwandelte sich in die Protagonist:innen ihrer Lieder, die sie lebensecht, ohne jegliche Rührseligkeit vortrug. Sie sang von Berliner Männern und Frauen, der einfachen Verkäuferin oder der Köchin, aber auch vom neuen Typ Frau wie der „Hannelore“ vom Halleschen Tor. Sie selbst gab als „Zille-Göre“, die sie 1925 auch im Großen Schauspielhaus am Schiffbauerdamm (Mitte) zum Besten gab, in Hans Brennerts Singspiel „Hofball bei Zille“ oder in dem Lied „Sein Milieu“.

Claire Waldoff wurde zum Inbegriff der „Berliner Pflanze“. Über drei Jahrzehnte war sie ein Kassenmagnet der Kabaretts und der Varietébühnen. Ihr Repertoire umfasste mehr als 300 Volkslieder, Chansons und Couplets. Mit ihrer außergewöhnlich modulationsfähigen Stimme und ihrer großen Musikalität konnte sie alle Nuancen zwischen derbem Gassenhauer und einfühlsamer Ballade interpretieren.
„Charell-Revue“: Die collagierte Bleistif-Zeichnung von Rudolf Grossmann, entstanden ca. 1924-26, zeigt von links nach rechts Siegfried Arno, Max Pallenberg, Claire Waldoff und Wilhelm Bendow.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt
Claire Waldoff, Portrait-Büste (Bronze) von Paul Bronisch, 1952
© Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt
Kurz nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurde Claire Waldoff 1933 zur „unerwünschten Person“ erklärt. Sie konnte ihren Beruf zwar noch ausüben, doch die Zahl ihrer Auftritte ging merklich zurück. 1939 verließ sie Berlin gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Olly (Olga) von Roeder. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat sie in einigen westdeutschen Städten auf und 1950 noch ein letztes Mal in Berlin, im „Titania-Palast“ in der Schloßstraße (Steglitz).

Ein Comeback gelang ihr nicht mehr. 1953 erschien ihre Autobiografie „Weeste noch …!“ Am 22. Januar 1957 starb Claire Waldoff in Bad Reichenhall. Zahlreiche Lieder, die sie einst sang, sind auch heute noch auf Kleinkunstbühnen in Berlin und anderenorts zu hören. An einem Haus an der Ecke Ansbacher/Regensburger Straße in Schöneberg, in dem sie von 1919 bis 1933 wohnte, erinnert seit 1989 eine Gedenktafel an die Künstlerin.

Dieser Text ist 2012 erschienen im Katalog zur Ausstellung „BERLIN macher: 775  Porträts – ein Netzwerk“ des Stadtmuseums Berlin im Museum Ephraim-Palais (Verlag: Kerber Forum). Redaktionelle Nachbearbeitung: Heiko Noack.
„Varieté“, Gemälde von Paul Grunwaldt, 1925
© Stadtmuseum Berlin

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