Das „Silber-Sonderinventar“ des Märkischen Museums
Sie lagern in einem Metallschrank im Sammlungsdepot des Stadtmuseums Berlin: knapp fünfhundert Löffel, Bettelarmbänder, Kinderklappern und andere Silberstücke. Die Gegenstände stammen aus jüdischen Zwangsabgaben ab 1939. Einblick in ein Projekt, bei dem das Stadtmuseum Berlin seit 1996 bemüht ist, die Provenienz der einzelnen Objekte zu klären.
Obwohl sich die Objekte zurzeit keinen Einzelschicksalen zuordnen lassen, ist der Silberbestand aus ehemals jüdischem Besitz ein schmerzliches Zeugnis der Geschichte von Millionen von Menschen, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Das Stadtmuseum Berlin bemüht sich seit 1996, die Provenienz der Silberobjekte zu erforschen, mit einem kritischen Blick die Vergangenheit der eigenen Institution auszuwerten und Informationen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
2019 startete ein Digitalisierungsprojekt mit finanzieller Unterstützung der damaligen Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa, um die Kartei des so genannten „Silber-Sonderinventars“ für die Provenienzforschung und andere Interessierte publik zu machen.
Geschichte des „Silber-Sonderinventars“
Mit der „Dritten Anordnung aufgrund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 21. Februar 1939 wurden betroffene Personen gemäß der „1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ verpflichtet, „Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine, und Perlen binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten dieser Verordnung“ reichsweit bei den öffentlichen Pfandleihanstalten abzuliefern.1 Es gab dafür nur eine sehr geringe Entschädigung, so dass man von Beraubung sprechen muss. Das Silber wurde eingeschmolzen und in Barren bei der Reichsbank in Berlin eingelagert.
Der damalige Direktor des Märkischen Museums, Dr. Walter Stengel (1882-1960) erhielt – vermutlich als einzige Person – die Möglichkeit, künstlerisch wertvolle Objekte aus dem großen Konvolut auszuwählen und vor dem Einschmelzen zu retten. Die Hintergründe dieser Aktion sind nicht bekannt.
Die Stücke deckten eine Zeit vom Mittelalter bis in die 1920er Jahre ab und umfassten alle Gattungen von der Gabel bis zum Prunkpokal.
Walter Stengel schilderte die Aktion im 1941 erschienenen Erwerbungsbuch des Märkischen Museums:
„Sonderbewilligungen der Kämmerei ermöglichten es, neben späten Beispielen dieser Art eine ganze Entwicklungsgeschichte der silbernen Kuchenschaufel zusammenzubringen und darüber hinaus die Silberkultur der letzten 150 Jahre überhaupt in einzigartigen Serien dazustellen. Es handelt sich um eine einmalige Rettungsaktion. Bei der mühsamen Sichtungsarbeit, die viele Wochen der Berichtszeit ausgefüllt hat, ist der Unterzeichnete insbesondere durch Herrn Stadtoberarchitekt Paul Kothe unterstützt worden, während die Katalogisierung der vor dem Einschmelzen bewahrten Stücke in den Händen von Herrn Dr. Wolfgang Scheffler lag und die Bildkartei (über 3000 Aufnahmen) von Frau Titze aufgebaut wurde.“2
Die damals gewonnenen Erkenntnisse aus der Erforschung der Silberobjekte aus jüdischem Besitz wurden in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten von Walter Stengel und Wolfgang Scheffler aufgenommen, ohne jegliche Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, mit dem unrechtmäßigen Entzug und der Verbringung der Objekte in das Märkische Museum. Auf makabre Weise ist eines der daraus entstandenen Bücher von Wolfgang Scheffler zum Standardwerk über Berliner Goldschmiede geworden.3
Bereits während des Silbererwerbs begann der Zweite Weltkrieg; das Märkische Museum wurde Ende 1939 geschlossen und nach und nach ausgeräumt. Auch der Silberbestand musste ausgelagert werden. Der weitere Weg des zwangsabgelieferten Silbers lässt sich nur annehmen. Anhand eines schmalen Hefters, der Listen zu zehn Kisten mit Silberobjekten enthält, lässt die Reichsbank als Standort vermuten. Von fast 5.000 dokumentierten Objekten sind nach dem Zweiten Weltkrieg nur knapp 500 Gegenstände von geringem materiellem Wert erhalten geblieben. Der Verbleib der über 4.000 vermissten Objekte ist bisher nicht bekannt.
Nach 1945 wurden die Silberobjekte und ihre Geschichte bewusst nicht tradiert. Außerhalb der Direktion wussten die Museumsmitarbeitenden nicht, dass noch Silber aus der Aktion existierte. Offiziell gab es auch keine historischen Inventarbücher mehr, sie waren angeblich 1945 verbrannt.4
Erst um 1989 wurden die Objekte als Thema im Kontext der Zusammenführung des Märkischen Museums mit dem Berlin Museum wieder aufgenommen. Während der Ausstellung „Die andere Hälfte“ im Martin-Gropius-Bau 1992 erfuhr die Öffentlichkeit zum ersten Mal von der Silbersammlung aus jüdischem Besitz aus dem Bestand des Märkischen Museums. Vier Jahre später startete die Stiftung Stadtmuseum Berlin ein Dokumentationsprojekt, um Inventarbuch, Fotokartei und überkommenes Silberinventar zu untersuchen. Hierbei wurden die Quellen erfasst, der vorhandene Bestand ermittelt und die Prozesse, die zu seiner Entstehung führten, erforscht. Dr. Marlies Coburger veröffentlichte die Ergebnisse des Projektes in einer umfassenden Studie.5
2021 wurde die seit 1993 bekannte Sachlage des unrechtmäßigen Besitzes von Raubgut im Märkischen Museum beendet: Durch eine gütliche Einigung mit der Jewish Claims Conference als Rechtsnachfolgerin der jüdischen NS-Verfolgten konnte eine faire und gerechte Lösung nach Punkt 9 der Washingtoner Prinzipien gefunden werden. Die noch vorhandenen Silberobjekte verbleiben nun nicht mehr nur in Verwahrung, sondern als Eigentum in der Sammlung des Stadtmuseums Berlin. Das Stadtmuseum Berlin verpflichtet sich, die Geschichte von Verfemung, Entrechtung, Raub und möglicher Rückgabe anhand der Silberobjekte öffentlich zu machen.
„Silber-Sonderinventar“ heute
Neben den knapp 500 erhaltenen Silberobjekten ist im Stadtmuseum Berlin fast die gesamte Dokumentation zu dieser Sammlung erhalten: 3.000 Karteikarten und 1.500 Fotokarten von Objekten sowie Band 2 des Sonderinventars. Der Inhalt des Band 1 lässt sich weitgehend durch die Zugangsnummern auf den Karteikarten rekonstruieren. Die Karteikarten ermöglichen es, einen ausführlichen Eindruck von Umfang und Struktur der weitgehend verlorenen Sammlung zu gewinnen. Sie waren systematisch in 18 Ordnern nach Werkgruppen gegliedert.
Die meisten Karteikarten enthalten auch Fotos der Objekte. Die vorgedruckten Blätter im Querformat DIN A5 sind in 14 Spalten mit Feldern wie „Gegenstand“, „Werkstoff“, „Marken“ und „Signatur“ aufgeteilt. Die unbeschrifteten Spalten wurden meist von Wolfgang Scheffler ausführlich ausgefüllt. Allerdings sind die Felder „Art der Erwerbung“, „Herkunft“ und „Standort“ größtenteils leer. Die Karteikarten haben eine Eingangsnummer, anhand derer man ihren ungefähren Zugangszeitpunkt an das Märkische Museum bestimmen kann und eine Gliederungsnummer, die die Zugehörigkeit zu einzelnen Werkgruppen markiert.
Wichtigstes Anliegen der Veröffentlichung ist weiterhin die Hoffnung, dass Silberobjekte von den Opfern und ihren Hinterbliebenen identifiziert werden und Geraubtes zurückgegeben werden kann.
Kontakt
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Fußnoten
1 RGBl I 1939, S. 282
2 Stengel, Walter, Märkisches Museum. Kulturgeschichtliche und Stadtgeschichtliche Erwerbungen 1939–1940, Heft 12, Berlin 1941, S. 44-45.
3 Stengel, Walter, Technik-Miscellen Uhren und Berlocken, Quellen-Studien zur Berliner Kulturgeschichte, hrsg. vom Märkischen Museum Berlin 1950; Stengel, Walter, Zucker und Zuckergerät, Quellen-Studien …, Berlin 1952; Stengel, Walter, Zur Geschichte der Berliner Goldschmiedekunst, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum III 1997, Berlin 1999, S. 17-111; Wolfgang Scheffler, Berliner Goldschmiede. Daten Werke Zeichen, Berlin 1968.
4 Hampe, Herbert, Aus der Geschichte des Märkischen Museums, in: Beeskow, Hans-Joachim, Hampe, Herbert und Hühns, Erik [Hg.], Das Märkische Museum und seine Sammlungen: Festgabe zum 100jährigen Bestehen des kulturhistorischen Museums der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1974, Berlin 1974, S. 11.
5 Coburger, Marlies, Der Silberschatz im Märkischen Museum, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum IV 1998, Berlin 2000, S. 223-272.
Weiterführende Literatur
- Coburger, Marlies, Der Silberschatz im Märkischen Museum, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum IV 1998, Berlin 2000, S. 223-272.
- Coburger, Marlies, Neues zum „Silberschatz im Märkischen Museum“, in: Jahrbuch Stiftung Stadtmuseum X 2004/2005, Berlin 2005, S. 59-72.
- Coburger, Marlies, Grapenthin, Steffi, Zum zwangsabgelieferten Silber aus jüdischem Besitz im Märkischen Museum. Nur eine didaktisch angelegte Mustersammlung?, in: Sabine Schulze/Silke Reuther (Hg.), Tagungsband Raubkunst? Silber aus ehemals jüdischem Besitz – wie gehen Museen damit um? Symposium anlässlich der Ausstellung “Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg”, Hamburg 2016, S. 30-35.
- Scheffler, Wolfgang, Berliner Goldschmiede. Daten Werke Zeichen, Berlin 1968.
- Stengel, Walter, Märkisches Museum. Kulturgeschichtliche und Stadtgeschichtliche Erwerbungen 1939–1940, Heft 12, Berlin 1941, S. 44-47.
- Weinland, Martina, Spurensuche in der Silbersammlung des Stadtmuseums Berlin, in: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hrsg.), Provenienzforschung in deutschen Sammlungen – Einblicke in zehn Jahre Projektförderung, Schriftenreihe Provenire, Band 1, Berlin/ Boston 2019, S. 19-26.