Hanna-Renate Laurien
Als Politikerin und Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin prägte Hanna-Renate Laurien (1928 – 2010) 25 Jahre lang die politische Landschaft Berlins. Als bekennende Katholikin setzte sie sich dabei besonders für die Förderung von Bildung und Chancengleichheit ein.
- 1928: Geburt in Danzig (heute Gdańsk, Polen) am 15. April, Jugend in Spremberg
- 1944 – 1945: Pflichtzeit im Reichsarbeitsdienst
- 1946 – 1951: Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie
- 1948: Mitwirkung an der Gründung der Freien Universität (FU) Berlin
- 1951 – 1970: Schul- und Lehrtätigkeit in Nordrhein-Westfalen
- 1952: Übertritt von der evangelischen zur katholischen Kirche
- 1966: Eintritt in die Christdemokratische Union (CDU)
- 1970 – 1976: Mitarbeit im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz
- 1976 – 1981: Kultusministerin von Rheinland-Pfalz
- 1981 – 1989: Schul- und Jugendsenatorin von Berlin (West)
- 1986 – 1989: Bürgermeisterin von Berlin (West)
- 1991 – 1995: als erste Frau Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin
- 1996: Rückzug aus der Politik
- 2010: Tod in Berlin-Lankwitz am 12. März
„Bei mir zählt das Wort der Terese von Avila: Heiliges Jetzt. Weder das verklärte Zurück noch das verklärte Voraus. Was dran ist, ist dran.“
Hanna-Renate Laurien wuchs in einer bildungsorientierten Familie auf. Ihr Vater Helmut arbeitete zunächst als Chemiker, später als Ministerialrat, ihre Mutter Charlotte war Lehrerin. Noch als Schülerin zum nationalsozialistischen „Reichsarbeitsdienst“ einberufen, macht Hanna-Renate dort eine Erfahrung, die sie prägen sollte. Sie erlebte, „dass in einem V2-Werk – das war diese ‚Wunderwaffe‘ – auf einmal ‚Skelette‘ ankamen und sich bei mir wiegen lassen wollten. Das waren Jüdinnen, die von SS-Weibern und scharfen Hunden bewacht jeden Tag in unser Werk gebracht wurden. Mich hat diese Schulderfahrung wirklich durchgeschüttelt.“
Schule und Kirche
Vom Elternhaus protestantisch geprägt, näherte sie sich nach dem Abitur durch ihr Studium der älteren deutschen Literatur zunehmend dem Katholizismus an, 1952 konvertierte sie. Dieses Bekenntnis sollte für sie Zeit ihres Lebens bestimmend bleiben. Ihr zentrales Motiv: Der „Umgang mit der Schuld“. 1967 wurde sie Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.Nach ihrem Studium begann Laurien ihre berufliche Laufbahn als Lehrerin. Ihre Begeisterung für das Unterrichten und ihr Engagement für die Bildung fanden schnell Anerkennung, und sie übernahm bald Führungsaufgaben in der Schulverwaltung. Laurien war überzeugt, dass Bildung ein Schlüssel zum sozialen Aufstieg und zum persönlichen Erfolg sei. Leidenschaftlich setzte sie sich daher für Reformen im Bildungssystem ein. Trotz ihrer konservativen Grundhaltung kämpfte sie energisch für Gleichberechtigung und gesellschaftspolitischen Fortschritt. Dabei scheute sie auch keine Konflikte. So setzte sie 1967 die Zulassung einer schwangeren Schülerin zum Abitur durch, 1968 bewahrte sie eine unverheiratet schwanger gewordene Lehrerin vor einer Disziplinarstrafe und der Versetzung.
Politische Karriere
Seit 1966 Mitglied der Christlich Demokratische Union (CDU), wurde sie 1981 von Berlins Regierendem Bürgermeister, dem späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, zur Schul- und Jugendsenatorin berufen. In dieser Funktion arbeitete sie darauf hin, ihre Vorstellung von einem inklusiven und gerechten Bildungssystem umzusetzen. Sie führte umfassende Reformen durch, darunter ein praxisorientierterer Unterricht und Programme zur individuellen Förderung von Schulkindern mit besonderen Bedürfnissen. Diese Schulpolitik verteidigte sie beharrlich – unter anderem gegen die einflussreiche, politische links stehende Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.1983 stellte sie sich als Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin (West) zur Wahl. Nur knapp unterlag sie ihrem Mitbewerber Eberhard Diepgen. Doch der Höhepunkt ihrer politischen Karriere sollte noch folgen. 1991 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses gewählt. In dieser Funktion erwies sie sich als eine führende politische Persönlichkeit, die zwischen den politischen Lagern zu vermitteln wusste.
Während ihrer Amtszeit setzte sich Laurien besonders für Frauenrechte und Chancengleichheit ein. Sie unterstützte Initiativen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen und engagierte sich für den Abbau von Diskriminierung am Arbeitsplatz. Zugleich lehnte sie eine Frauenquote in der für sie typischen Klarheit ab: „Ich halte sie für entwürdigend. Wir sind Qualität und nicht Quote.“ Sie befürwortete die Initiative, Berlin nicht nur zur symbolischen Hauptstadt, sondern auch zum Regierungssitz des wiedervereinigten Deutschlands zu machen. Und nach den Ausschreitungen gegen die „Zentrale Aufnahmenstelle für Asylbewerber“ (ZaSt) in Rostock-Lichtenhagen rief sie 1992 zu einer Demonstration gegen Fremdenhass und Rassismus auf, an der mehrere hunderttausend Menschen in Berlin teilnahmen.
Späteres Engagement und Ehrungen
Auch nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik 1996 engagierte sich Hanna-Renate Laurien weiter. Sie war Mitglied verschiedener Organisationen und Stiftungen, die sich für soziale Gerechtigkeit und den interkulturellen Dialog einsetzten. So war sie unter anderem in dem von ihr mitbegründeten Verein „Gegen das Vergessen – für Demokratie“ aktiv und befürwortete öffentlich ein zentrales Mahnmal für die vom Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Zudem engagierte sie sich weiter in der katholischen Kirche. Bis 2000 war sie Vorstand im Berliner Diözesanrat der Katholiken, bis 2004 Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Ihr Einsatz für Bildung und Soziales wurde mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt, darunter das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.Am 12. März 2010 verstarb Hanna-Renate Laurien in Lankwitz, ihrem Berliner Wohnort. Ihr Grab befindet sich auf dem Spandauer Friedhof In den Kisseln.
„Da, wo die Rechte der Frau bedroht sind, muss man für sie den Mund aufmachen. Wir haben auch viel erreicht. Aber wir sind auf dem Weg, nicht am Ziel.“