Hans Baluschek
Seine aufrüttelnde Kunst, sein sozialkritischer Blick und seine Rolle als Initiator kommunaler und staatlicher Förderprogramme für Künstler:innen vor hundert Jahren haben Hans Baluschek (1870-1935) über die Berliner Grenzen hinaus bekannt gemacht. 324 Werke des Künstlers bewahrt das Stadtmuseum Berlin in seiner Grafik- und Gemäldesammlung.
Herr Sumsemann, die Nachtfee und die Mondkanone: Wer „Peterchens Mondfahrt“ (1915) von Gerdt von Bassewitz kennt, kennt auch den 1870 in Breslau (Wrocław, Polen) geborenen Hans Baluschek. Der seit 1876 in Berlin lebende Künstler hat den Kinderbuchklassiker illustriert. Auch mit seinen sozialkritischen Arbeiten war Baluschek einem kunstinteressierten Publikum bekannt – auch wenn seine Werke nicht sonderlich beliebt waren.
„Opfer“
Auswahl von Kohlezeichnungen aus dem 1906 angefertigten Zyklus
Diese „Rinnsteinkunst“ war für Baluschek Motor und Motto zugleich. Mit sechs Jahren kam der Sohn eines Eisenbahningenieurs nach Berlin. In den ersten Jahren zog die Familie mehrmals um, blieb aber immer im Gebiet der Neubauten für Arbeiter:innen zwischen dem Halleschen und dem Kottbusser Tor (heute: Kreuzberg). Hier wuchs Baluschek auch mit Menschen auf, die buchstäblich am Rand der Gesellschaft lebten. Trotz privilegierter Umstände – die Familie konnte sich ein Dienstmädchen leisten – entwickelte Baluschek eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe, die er bald in sozialkritische Kunst übersetzte.
Aus: „Im Kampf um meine Kunst“
„Als ich ein zehnjähriger Junge war, verpflanzte mich unser Dienstmädchen in die Hasenheide, wenn sie an manchem Sonntagnachmittag mit mir spazieren gehen sollte. Dann tanzte sie schnell auf dem ‚Bal champêtre‘ einmal rum, und ich saß gehorsam an einem von Bierflecken klebrigen Tisch im Gewühl der lärmenden Menschen, umbrüllt von der Karussellmusik und dem Ausrufer der Schaubuden, erschreckt von dem Knallen in den Schießbuden und den Hammerschlägen auf den Holzblock am Fuß der Kraftmesser, jener langen Stangen, an denen auf einer Schiene ein Klötzchen je nach der Kraft des Schlagers verschieden hoch hinaufgleitet, um vielleicht endlich oben an der Zahl 1000 die Glocke sieghaft anzuschlagen. Und über allem Lärm Staub, Staub, sonnendurchglänzter Staub.“
Im Laufe seines künstlerischen Arbeitslebens malte Baluschek Arbeiter:innen, alte und arme Menschen, Prostituierte, Menschen mit sichtbaren Spuren der Alkoholsucht, Leichen und Kriminalitätsopfer. Dabei handelte es sich in der Regel nicht um reale Personen, sondern eher um Menschentypen. Baluschek malte auch die Lebensräume prekär lebender Großstadtbewohner:innen: Industrie- und vernachlässigte Wohngebiete, Landschaften, die durchzogen sind von Eisenbahnschienen und rauchenden Schornsteinen. Auch zeigt Baluschek großstädtische Szenen, in denen die Stadt als abweisend dargestellt wird. Kaum eine Figur lächelt in den Werken Baluscheks. Er selbst verstand sich als sozialistisch denkenden Menschen, der sozialungerechte Zustände in Berlin und der Welt künstlerisch zu entlarven wusste.
Als Vertreter des kritischen Realismus sah sich Baluschek in der Tradition der Berliner Landschafts- und Industriemaler Adolph von Menzel (1815 – 1905) und Paul Friedrich Meyerheim (1842 – 1915). Literarisch war ihm der französische Schriftsteller Émile Zola (1840 – 1902), Begründer der literarischen Strömung des Naturalismus, Inspiration und Vorbild. In dem Magazinbeitrag „Kampf um meine Kunst“ beschrieb Baluschek 1920 seine Schwierigkeiten, als relevanter Künstler anerkannt zu werden. Gleichwohl beeinflussten die wechselnden Stilrichtungen der damaligen Zeit, wie der Expressionismus, seine Arbeit wenig. Baluschek blieb seinem dem Realismus verpflichteten Stil stets treu.
Talent und politisches Engagement
Bereits als 15-Jähriger entdeckte Baluschek die Malerei für sich. Gleich nach dem Abitur 1890 wurde der 20-Jährige an der Berliner Kunstakademie aufgenommen. Deren Leitung hatte der konservative Historienmaler Anton von Werner (1843 – 1915) inne. Am 2. Mai 1898 war Baluschek Mitbegründer der Künstler:innengruppe „Berliner Secession“. Die Mitglieder starteten eine nachweislich erfolgreiche Gegenbewegung zum damals vorherrschenden, akademischen Kunstbetrieb. An der Künstlerinnenschule Berlin war Baluschek neben Käthe Kollwitz (1876 – 1945) Lehrer. 1908 eröffnete er eine private Malschule für Frauen.1914 meldete sich Baluschek zum Kriegsdienst. Bis dahin stellte er die konstitutionelle Monarchie nicht in Frage. Doch seine Kriegserlebnisse und die gesellschaftlichen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs brachten ihn zum Umdenken. 1920 trat er in die SPD ein und engagierte sich fortan in der Berliner Kultur- und Bildungsarbeit. Politisch setzte er sich vor allem für Arbeiter:innenbildung und die Verbesserung der Lage von Künstler:innen ein.
Ein Atelier zum Geburtstag
1920 gehörte Baluschek zu den ersten Organisator:innen und Dozent:innen der neu gegründeten Volkshochschule Groß-Berlin. Baluschek unterrichtete Malerei. Hier traf er auf den niederländischen Künstler Claus Willink, dessen Werke in der aktuellen Ausstellung im Museum Arnhem zu sehen sind.
Von 1918 bis 1928 wohnte Baluschek in der Hauptstraße 34/35 in Schöneberg. In Schöneberg wurde er Vorsitzender der Kunstdeputation und engagierte sich auch in anderen Projekten. So organisierte er die Ausstellung „Das alte Schöneberg im Bilde“ (1920). Sie zeigte Ansichten und Bilder von Berlin zwischen 1685 und 1920. Von 1929 bis 1933 war Baluschek Leiter der Großen Berliner Kunstausstellung. Währenddessen konnte er in den damals neu erbauten Ceciliengärten, heute Semperstraße, einen „Atelierturm“ als Ehrenwohnung nutzen. Es war ein Geschenk des Bezirks anlässlich seines 60. Geburtstages.
Ehrengrab in Stahnsdorf
Ab 1933 wurden Baluscheks Arbeiten von den Nationalsozialisten auf die Liste der als „entartet“ geltenden Kunstwerke gesetzt. Er wurde von all seinen Ämtern entbunden, auch verlor er sein Atelier. Die letzten beiden Lebensjahre verbrachte Baluschek in der Bozener Straße 13/14.Hans Baluschek starb am 28. September 1935 im Alter von 65 Jahren.
Beigesetzt wurde er auf dem heute nicht mehr existierenden Friedhof Schöneberg I an der Eisackstraße. 1939 wurde sein Grab umgebettet auf den Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf. Der Grund: Die Nationalsozialisten benötigten die Fläche für ihre geplante „Welthauptstadt Germania“. Heute hat Hans Baluschek ein Ehrengrab des Landes Berlin in Stahnsdorf. In Schöneberg erinnert eine Gedenktafel am Haus Ceciliengärten 27, heute Semperstraße, und eine Grünanlage zwischen den S-Bahnhöfen Priesterweg und Südkreuz an den außergewöhnlichen Berlin-Chronisten.
Umfangreicher Nachlass
1947 erwarb der Magistrat von Groß-Berlin als Ankauf von Irene Baluschek, der Ehefrau von Baluschek, den Nachlass des Künstlers. Zwölf Werke gingen an die Staatlichen Museen zu Berlin. 324 Werke wurden an das Märkische Museum übergeben. Sie bilden den Grundstock des heutigen umfangreichen Bestandes an Malerei und Grafik von Hans Baluschek in der Gemälde- und Grafiksammlung des Stadtmuseums Berlin.
Baluscheks Werke wurden im Ostteil Berlins seit 1948 mehrmals in Ausstellungen gezeigt. Die bis dahin umfangreichste Präsentation mit 150 Gemälden und Grafiken fand 1974 aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums des Märkischen Museums statt.
Nach langjährigen Bemühungen von Kulturinstitutionen in beiden Teilen der Stadt war es 1991 erstmals möglich, eine Gesamtausstellung der Werke Baluscheks aus Ost- und West-Berliner Sammlungen in der Staatlichen Kunsthalle Berlin zu realisieren. Mit den Leihgaben des Stadtmuseums Berlin gibt es nun auch in den Niederlanden die Möglichkeit, den engagierten Ausnahmekünstler kennenzulernen.