Hedwig Dohm

Schon zu Lebzeiten war die Literatin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin (1831 – 1919) in Berlin und darüber hinaus bekannt. Lange Zeit nahezu vergessen, zählt Hedwig Dohm heute zu den wichtigsten Wegbereiterinnen der Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Hedwig Dohm, Potrait von Franz von Lenbach, 1894
© Thomas-Mann-Archiv der ETH-Bibliothek Zürich | Foto: Frank Blaser



Geboren wird sie 1831 in Berlin als eines von insgesamt 18 Kindern des zum protestantischen Glauben konvertierten jüdischen Kaufmanns Gustav Adolph Schlesinger und seiner späteren Frau Henriette. Obwohl das „Preußische Judenedikt“ von 1812 Juden Gleichberechtigung verspricht, sieht der Alltag anders aus. Manche entscheiden sich daher zur christlichen Taufe – so auch Schlesinger, der zudem seinen Nachnamen in Schleh ändert.

Infolge der Märzrevolution von 1848 schreibt die Paulskirchenverfassung die Gleichberechtigung aller Bürger:innen fest, doch in Berlin und anderswo kommt es zu antisemitischen Pogromen. Kurz darauf erklärt eine neue Verfassung Preußen zum christlichen Staat. Hedwig stößt mit ihrem Wissensdurst früh an Grenzen traditioneller Geschlechterrollen, und die Frage, wie Mädchen dem überlieferten Rollenkorsett entkommen können, beschäftigt sie sehr. Mühsam trotzt sie den Eltern die Erlaubnis ab, den Lehrerinnenberuf zu ergreifen. Doch ihre daran geknüpften Erwartungen werden enttäuscht. 

Erste Anerkennung

Neue Impulse verspricht sie sich von einer Auslandsreise mit der Mutter, für die sie bei dem 1819 in Breslau (heute Wrocław, Polen) geborenen Privatlehrer Ernst Dohm Spanisch lernt. Er ist ebenfalls als Jude zum Christentum konvertiert, wie sie politisch interessiert und schreibt für die Satirezeitschrift „Kladderadatsch“.  Im März 1853 heiraten die beiden in Berlin.

In den sechs folgenden Jahren bringt Hedwig Dohm fünf Kinder zur Welt. Aber die wirtschaftliche Lage der Familie ist schwierig, und als verheiratete Frau kann Hedwig ihren Beruf nicht ausüben, da Lehrerinnen unverheiratet sein müssen. Zudem stirbt 1866 ihr einziger Sohn an Scharlach. In dieser Situation übernimmt Hedwig Dohm für ihren gesundheitlich angeschlagenen Mann einen Übersetzungsauftrag, der ihr nicht nur Geld, sondern auch die ersehnte geistige Herausforderung bringt. In Berliner Literaturkreisen trägt ihr das Werk erstmals hohe Anerkennung ein.

Eigene Wege

Nur zwei Jahre später muss die Familie aus finanziellen Gründen die Stadt verlassen, die Eheleute gehen für ein Jahr getrennte Wege. Hedwig nutzt diese Zeit, um ihren Horizont auf einer Reise nach Italien zu erweitern, wo ihre Schwester Anna lebt. 1870 kommt die Familie wieder zusammen, Ernsts Berufung zum Chefredakteur bringt auch finanziell die Wende. Das Jahr in Italien aber hat Hedwig selbständiger gemacht und ihr den Mut gegeben, nun eigene Gedanken niederzuschreiben. Und die treffen den Nerv der Zeit.

Von 1872 bis 1879 veröffentlicht sie vier Essays über Frauenrechte, die ein großes Echo finden, wenn auch nicht immer die Zustimmung ihres eher konservativen Ehemanns. Ihr Haus in der Potsdamer Straße wird Schauplatz lebhafter Diskussionen, auch mit anderen Berliner Intellektuellen. Hier beginnt Hedwig Dohm im Spannungsfeld von Literaturcafés und Theatern Bühnenstücke zu verfassen. Die Themen sind gesellschaftlicher Wandel und Frauenrechte, und ihre Werke werden unter dem Beifall der Kritik im Berliner Schauspielhaus aufgeführt. Inzwischen vollends emanzipiert, publiziert sie zudem zahlreiche Beiträge zu Frauenfragen, während ihre Töchter – von der Mutter bestärkt – eine gründliche Schulausbildung absolvieren.

1882 erleidet Ernst einen Schlaganfall, und Hedwig Dohm wird ihn bis zu seinem Tode im selben Jahr pflegen. Als Witwe sieht sie sich des gesellschaftlichen Status der Ehe beraubt, der noch notwendig ist, um sich öffentlich zu positionieren. Fortan kann sie nur noch in den geschlossenen Zirkeln von Frauenkomitees für mehr Gleichberechtigung und Bildung werben, was sie mit mehr als 100 Schriften unermüdlich tut.

Hedwig Dohms Streitschrift „Die Antifeministen“, 1902
Foto by Horst Ziegenfusz. The copyright of the foto is with the Historical Museum Frankfurt who decided to release this media file under cc-by-sa license during GLAM on Tour Frankfurt 2018. The Archiv der deutschen Frauenbewegung (Archive of German Women’s Movement) which is in possession of the brochure has agreed to this upload. (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hedwig_Dohm_Antifeministen_1902.jpg), „Hedwig Dohm Antifeministen 1902“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

Mahnerin für den Frieden

Bei Kriegsbeginn 1914 warnt Hedwig Dohm vor dessen Folgen und bekommt sie doch bald selbst zu spüren: Zwei Söhne ihrer ältesten Tochter Else, bei der sie seit dem Tod ihres Mannes lebt, fallen an der Front. Dies bestärkt sie in ihrer pazifistischen Überzeugung, die sich unter anderem 1917 in ihrer Anklageschrift „Der Missbrauch des Todes“ manifestiert.

Der Deutschen Friedensgesellschaft, in der sich auch Marie Fischer, eine Schwester von Anna Schepeler-Lette engagiert, fühlt sie sich verbunden, doch sie ist zu alt, um außerhalb ihrer Schriften aktiv zu sein. Mit dem Tod von Elses Ehemann Hermann Rosenberg ereilt Hedwig Dohm ein weiterer Schicksalsschlag, und am 1. Juni 1919 stirbt auch sie. Nur wenige ihrer Schriften bleiben der Nachwelt erhalten, denn Hedwig Dohm verfügte, dass alle persönlichen Notizen und Manuskripte nach ihrem Tod vernichtet werden sollten. Allein Enkelin Katharina („Katia“), die spätere Ehefrau von Thomas Mann, bewahrt mit einigen wenigen die Erinnerung an die große Frauenrechtlerin.

Allen Bemühungen um Gleichberechtigung zum Trotz werden die Nachkommen von Hedwig Dohm in der NS-Zeit wegen ihrer jüdischen Herkunft und ihrer oft kritischen Haltung verfolgt. Nachdem ihre zweitälteste Tochter Else nur drei Jahre nach der Mutter in Berlin verstorben war, stirbt Hedwig, die älteste, 1942 fast mittellos im Schweizer Exil. Die Spuren der jüngsten Tochter Eva und ihrer drei Kinder verlieren sich im Dunkel der nationalsozialistischen Diktatur.

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