Sieben Jahre später, im Jahr 1952, hatte sich die Lage insoweit stabilisiert, dass der nur noch für Ost-Berlin zuständige Magistrat sich nach der Bergung nun der zukünftigen Verwendung dieser Kunst zuwandte. Viele Werke übergab er dem ihm unterstehenden Märkischen Museum. Heute befinden sie sich in der Sammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Doch woher stammen diese Kunstwerke eigentlich? Welche Wege führten sie zum Magistrat? Wem gehörten sie ursprünglich – oder gehören sie möglicherweise noch?
Städtischer Kunstbesitz in Ost-Berlin
In den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit bargen die für Sicherung von Kulturgütern verantwortlichen Stellen des Magistrats Kunst in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Während des Krieges hatten sowohl öffentliche Einrichtungen als auch Privatpersonen ihr wertvolles Kulturgut ausgelagert. Oft kam es nie zu den ursprünglichen Besitzer:innen zurück. Das Wissen über das Eigentum ging durch Flucht, Tod, Auswanderung oder Verlust von Unterlagen in vielen Fällen verloren. Zudem war das Zurückerlangen von Eigentum, das sich in einer anderen deutschen Besatzungszone oder einem anderen Land befand, sehr schwierig.
Sowohl Diebstahl als auch Zerstörung bedrohte Kunstwerke in den Lagerungsorten, die meist kaum noch gesichert waren. Angesichts dessen bekam die „Zentralstelle für die Erfassung und Pflege von Kunstwerken“ schon 1945 die Aufgabe, geraubtes, gefährdetes oder als „herrenlos“ betrachtetes Kulturgut sicherzustellen. Bei der Fahndung suchte die Zentralstelle nicht nur Kulturstätten und Lagerungsorte, sondern auch die Häuser ehemaliger hochrangiger NS-Mitglieder auf. Bei Verdacht, dass Zivilpersonen oder skrupellose Künsthändler:innen sich schon bedient haben könnten, unternahm die Zentralstelle eine Untersuchung, gelegentlich in Begleitung der Kriminalpolizei.
Außer im Fall von ehemaligem NS-Besitz lag es nahe, geborgenes Kulturgut den ehemaligen Besitzer:innen zurückzugeben. Jedoch war dies aus den oben genannten Gründen oft schwierig bis unmöglich. Dazu kam, dass geborgenes Kulturgut in dem Sektor der Stadt verbleiben musste, in dem es aufgefunden worden war. Die Sammlungsstelle im sowjetischen Sektor befand sich im Ermelerhaus, in der Breiten Straße.
Neben geborgenem Kulturgut verwaltete der Magistrat auch Kunst aus ehemaligem preußischen und Reichsbesitz sowie natürlich sein eigenes, ab 1947 wieder wachsendes Eigentum. Kulturgut, das in Zusammenhang mit Straftaten beschlagnahmt wurde, konnte ebenfalls in die Obhut des Magistrats gelangen.
Übergaben an das Märkische Museum
Obwohl das Märkische Museum Kulturgut-Überweisungen aus Magistratsbesitz bereits 1948 bekam, sind die Jahre 1951 und 1952 mit ca. 344 inventarisierten Positionen für solche Übergaben am bedeutendsten. Diese zeitliche Ballung dürfte mehrere Gründe haben.Anfang 1951 endete die Verwaltung der Staatlichen Museen durch den Magistrat, was Klarheit in die Berliner Museumslandschaft und die Zuständigkeiten brachte. Das „Referat Rückführung von Kunstgütern“, wie die „Zentralstelle für Erfassung“ mittlerweile hieß, wurde Ende 1950 aufgelöst und ihre Arbeit April 1951 endgültig eingestellt. Mitte 1951 empfahl ein Gutachten dringend, die Aufbewahrungssituation des Magistrats-Kunstbesitzes zu verbessern.
Diese Faktoren führten im Herbst 1952 unter anderem zur Auflösung der Bergungsstelle im Ermelerhaus. Ihr verbleibender Bestand, der wohlgemerkt aufgrund der unklaren Herkunft dorthin verbracht worden war, wurde an Museen, Theater und Schulen übergeben. Aus dieser Auflösung allein bekam das Märkische Museum laut einer Aufstellung 16 Möbelstücke, 348 Grafiken, 61 Gemälde, 11 Plastiken, 9 Bilderrahmen und 12 nicht näher beschriebene sonstige Objekte. Merkwürdigerweise haben mindestens 13 der aus dem Ermelerhaus übernommenen Gemälde weiße Kreidenummern auf der Rückseite der Leinwand, die von Nummer 39 bis Nummer 160 reichen. Wann diese Nummern aufgebracht wurden und was sie bedeuten, ist uns noch unbekannt.
Versuch der Herkunftsermittlung
49 Gemälde aus Magistratsbesitz, die das Märkische Museum zwischen April 1951 und Dezember 1952 inventarisierte, sind 2021 im Rahmen eines Volontariatsprojektes auf ihre mögliche Provenienz erforscht worden. Die Ergebnisse bezeugen die vielfältigen Herkünfte, die sich hinter solchen Übergaben verbergen können.
Erstes Beispiel: Die Provenienz von Franz Skarbinas „Kundgebung vor dem Berliner Schloss“ (1907) ist im Inventarbuch mit „aus dem Ermelerhaus übernommen“ vermerkt. Das Gemälde gehörte aber schon spätestens 1925 der Stadt Berlin. Sein Standort während des Krieges und der Weg zur Bergungsstelle sind noch unklar.
Hans Christof Drexels „Blumenfrau“ (1927/28) wurde laut Inventarbuch nach 1945 aus städtischen Mitteln gekauft. Ursprünglich hatte die Nationalgalerie das Bild in den 1930er Jahren in ihrer Sammlung, bis die NS-Regierung es als „entartete Kunst“ beschlagnahmte. Das Referat Rückführung von Kunstgütern stellte es 1947 in Güstrow sicher, und 1949 kam das Gemälde nach Berlin zurück.
„Kühe am Strand“ von Georg Ehmig (vor 1938) ist laut Inventarbuch „aus dem Ermelerhaus übernommen“. Um 1937 hatte die preußische Kunstverwaltung das Bild wohl direkt vom Künstler gekauft.
Dieses Selbstportrait von Anna Bernhardi (1891) wurde ebenfalls „aus dem Ermelerhaus übernommen“. Jedoch gibt es Hinweise in einer anderen Dokumentation, dass es aus Familienbesitz stammen könnte.
Traugott Fabers „Scharfenberg bei Meißen“ (um 1845) wurde laut Inventarbuch vom „Referat Rückführung von Kunstgütern“ an das Märkische Museum übergeben. Jedoch weisen Unterlagen im Nachlass eines Referatsmitarbeiters darauf hin, dass dieses Gemälde in einem bisher ungeklärten Vorgang, der in Dokumenten lediglich mit „Tsemperlides“ bezeichnet wird, als sichergestellter Gegenstand (Asservat) vorkam. Weiteres zu diesem Vorgang und der Herkunft des Gemäldes wissen wir nicht.
Das Gemälde „Hühnerhof“ von Paul Friedrich Meyerheim hat im Inventarbuch die Provenienzangabe „erworben vom Ermelerhaus“. Es gibt archivarische Hinweise, dass der Stadtkonservator Berlins das Bild zwischen 1939 und 1945 in Weimar kaufte. Der:die Vorbesitzer:in sowie die Umstände des Verkaufs sind uns noch unbekannt, jedoch weckt der Zeitraum den Verdacht eines verfolgungsbedingten Entzuges.
Perspektiven
Die Wege dieser Gemälde in den Magistratsbesitz zu ermitteln, bringt große Herausforderungen mit sich. Bei der Mehrzahl wissen wir immer noch nicht, wie sie in die Obhut des Magistrats gelangt sind und wem sie früher gehörten. Die Forschung geht weiter.
Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack