Porträts ehemals wohnungsloser Frauen*, die zu Wort kommen, fotografiert von Muhammed Lamin Jadama
© querstadtein e.V., Stadtmuseum Berlin | Fotos: Muhammed Lamin Jadama

Leben und Überleben

Im Freiflächenprojekt „Mitten unter uns. Wohnungslose Frauen* in Berlin” sprechen Anna, Janet, Janita-Marja, Richi und Susanne über Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Sie stehen stellvertretend für viele wohnungslose Frauen* und berichten über soziale Grenzen, Würde, Selbstbestimmung und über die Gründe für ihre Wohnungslosigkeit.

Sie leben mitten unter uns – und bleiben dennoch weitgehend unsichtbar: wohnungslose Frauen* in Berlin. Ihnen eine Stimme zu geben, sie selbst zu Wort kommen zu lassen, ist Ziel der Arbeit von querstadtein e. V., der das Ausstellungsprojekt auf die Freifläche in BERLIN GLOBAL gebracht hat. Der Verein bietet als Format politischer Bildung Stadtführungen an, die von Menschen, die selbst Wohnungslosigkeit oder auch Flucht und Migration erlebt haben, durchgeführt werden. Auf den Touren berichten die Stadtführer:innen sowohl über eigene Erfahrungen als auch über strukturelle Probleme.

Für die Freiflächen-Ausstellung verfolgte querstadtein e. V. einen offenen Projektansatz, mit dem Ziel, weibliche Wohnungslosigkeit in den Blick zu nehmen. Sie führten Interviews mit (ehemals) betroffenen Personen, die die Möglichkeit hatten, die Themen selbst zu setzen.

Clemens Poldrack, querstadtein. e. V.
„Wir wollen die Menschen selbst sprechen lassen und nicht, dass über sie gesprochen wird.“
Der Berliner Verein querstadtein hat die Ausstellung zusammen mit dem Stadtmuseum Berlin erarbeitet.
Freifläche „Mitten unter uns“ in BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum © querstadtein e.V. | Stadtmuseum Berlin, Foto: Phil Dera
Daraus ist eine Installation
aus Hörstationen entstanden, die
ganz unterschiedliche Erfahrungsberichte
der Protagonist:innen vermitteln.
Hinter sechs Thementüren
finden die Besuchenden Antworten
auf Fragen wie „Warum wurden wir
wohnungslos?“, „Wie (über-)leben
wir auf der Straße?“ oder „Wo bleibt
unsere Würde?“ Die eindrücklichen
Einzelgeschichten stehen stellvertretend
für ganze Gruppen, die ähnliche
Erfahrungen gemacht haben.

Auf der Innenseite der geöffneten Türen sind Texte zu lesen, die eine Einordnung dessen, was gesagt wird, auf der gesellschaftlichen Ebene deutlich machen. Etwa das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen oder der Grundsatz „Housing First“ der EU sowie der Hinweis auf einen Passus im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Berlin, der besagt, Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit bis 2030 beenden zu wollen. „Wir haben uns von Anfang an gefragt, wie wir es schaffen, das Thema Wohnungslosigkeit in einen Museumskontext zu bringen, ohne dass wir die Menschen ausstellen oder gar bloßstellen“, sagt Clemens Poldrack, Projektmanager von querstadtein e. V., über das Konzept.

„Wir wollen die Menschen selber sprechen lassen und nicht, dass über sie gesprochen wird.“ Trotzdem sei es auch wichtig, die Dimension klarzumachen, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt. Dazu tragen auch die Porträtfotos der Protagonist:innen bei, die zu sehen sind, sich aber nicht den O-Tönen an der Hörstation zuordnen lassen. „Das ist eine bewusste Entscheidung“, sagt der Verein. „Es ist nicht wichtig, welches Gesicht etwas sagt, denn sie sprechen stellvertretend für viele andere Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

O-Ton aus der Hörstation der Freifläche
„Es wusste im Grunde genommen niemand, dass sich bei mir eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt hat.“

Die Fotografien stammen von Muhammed Lamin Jadama, der als Streetworker und Künstler in Berlin arbeitet und ebenfalls bei querstadtein e. V. aktiv ist. „Das war eine schöne Verknüpfung unserer beider Schwerpunkte bei querstadtein, denn er macht bei uns Stadtführungen zum Thema Migration“, sagt Poldrack.

Und das ist nicht die einzige Zusammenarbeit,
die sich aus dem Ausstellungsprojekt entwickelt hat. Zwei beteiligte Frauen bieten inzwischen ebenfalls Stadtführungen an. Für den Verein ein Zeichen, dass das durch das Projekt entstandene Vertrauen weitergeführt wird: „Die Personen sind weiterhin bereit, sich gegenüber einem Publikum zu öffnen und von ihren Geschichten zu erzählen.“
Fünf Frauen* geben in der Freiflächen-Ausstellung Einblick in Erfahrungen mit der eigenen Wohnungslosigkeit.
Freifläche „Mitten unter uns“ in BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum © querstadtein e.V. | Stadtmuseum Berlin, Foto: Phil Dera

Die temporäre Freiflächen-Ausstellung sollte eigentlich Ende März 2025 enden, nun wird sie um drei Monate verlängert und ist bis Ende Juni in BERLIN GLOBAL zu sehen. Der Verein querstadtein freut sich über den Zuspruch, weil die Wohnungslosigkeit besonders von Frauen* zu oft vergessen wird. Sichtbare Obdachlosigkeit werde oft mit Männern assoziiert. Frauen neigten aus unterschiedlichen Gründen dazu, ihre Wohnungslosigkeit stärker zu verbergen und in die Unsichtbarkeit zu treten.

Erschienen im Tagesspiegel am 14.12.2024

Die Freifläche ist im Raum „Berlin Bilder“ bei BERLIN GLOBAL zu sehen.

Für eine Überraschung gut: die begehbare Diskokugel im Raum Vergnügen.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Anne Preussel

BERLIN GLOBAL

Die Berlin Ausstellung im Humboldt Forum zeigt auf 4.000 Quadratmetern, wie die Stadt und ihre Menschen mit der Welt verbunden sind.