Lyonel Feininger. Retrospektive
Der deutsch-amerikanische Künstler Lyonel Feininger (1871–1956) ist ein Klassiker der modernen Kunst. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main widmet dem Maler und Grafiker die erste große Retrospektive seit über 25 Jahren in Deutschland. Eine besondere Leihgabe aus der Gemäldesammlung des Stadtmuseums Berlin ist mit dabei.
Ausstellung: 27.10.23-18.02.24
Bekannt ist Feininger für seine Gemälde von Bauwerken, kristalline Architekturen in beeindruckender Monumentalität und Harmonie der Farben. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main präsentiert selten gezeigte Hauptwerke, aber auch weniger bekannte Arbeiten wie die vor kurzem wiederentdeckten Fotografien des Künstlers. Ein besonderer Fokus liegt mit zentralen Arbeiten auf den 1930er-Jahren und dem US-amerikanischen Exil des Künstlers. Mit rund 160 Gemälden, Zeichnungen, Karikaturen, Aquarellen, Holzschnitten, Fotografien und Objekten zeigt die Ausstellung wichtige Themen und Entwicklungslinien auf, die Feiningers Werk geprägt und unverwechselbar gemacht haben.1
Leihgabe des Stadtmuseums Berlin
„October 1912“ heißt die datierte Vorzeichnung zum Gemälde Gasometer in Schöneberg. Es ist das einzige Großstadtmotiv von Berlin bzw. seinen Nachbargemeinden, das Lyonel Feininger zu Papier und dann auf die Leinwand brachte. Die Zeichnung bewahrt die Grafiksammlung des Stadtmuseums Berlin. Aus der Gemäldesammlung stammt das daraus entstandene Gemälde. Es wird in der Ausstellung in Frankfurt am Main gezeigt.Die Geschichte der Schöneberger Gasometer an der Torgauer Straße, von denen heute nur noch der Hauptbehälter als Teil des EUREF-Campus steht, reicht bis in das Jahr 1853 zurück. Die dargestellte Anlage entstand von 1906 bis 1908.
Lyonel Feininger: Gasometer in Schöneberg, 1912.
Erworben als Geschenk des Landes Nordrhein-Westfalen anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins sowie aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und der Museumsstiftung Dr. Otto und Ilse Augustin.
Feininger und Berlin
„Lyonel Feininger hielt sich, unterbrochen von Reisen und Studienaufenthalten, von 1888 bis 1919 in Berlin auf. Erst 36-jährig fand der Karikaturist und Illustrator zur Malerei. Unter dem Einfluss von Robert Delaunay, auf den Feininger 1911 in Paris traf, begann er den Bildgegenstand kubisch zu zerlegen. Prismatisch gebrochene Farben und Formen setzte er nach der Begegnung mit den italienischen Futuristen in Herwarth Waldens Sturm-Galerie in Berlin im Frühjahr 1912 konsequent als Stilmittel ein. Als Sujet bevorzugte Feininger thüringische Dörfer und Städte mit ihren mittelalterlichen Gotteshäusern – aber auch die Feldsteinkirche von Teltow –, Schiffe auf der Ostsee und schließlich die Hochhäuser Manhattans.
Erstaunlicherweise malte Feininger mit dem Schöneberger Gasometer das einzige Großstadtmotiv von Berlin bzw. seinen Nachbargemeinden. Auch thematisch bildet das Gemälde in seinem Werk eine Ausnahme. Zwar hatte der Künstler in seinen dekorativen, noch vom Jugendstil geprägten Bildern von 1909 bis 1911 mehrfach technische Objekte wie Eisenbahnen und andere Verkehrsmittel dargestellt, dabei aber nie deren Monumentalität und Symbolkraft für das pulsierende Leben der modernen Großstadt hervorgekehrt.
Die Schönheit der Technik, ihre Dynamik und Vitalität, wie sie in den futuristischen Manifesten besungen wird, findet hier einen direkten Widerhall in dem euphorisch stimmenden Kolorit, in der filigranhaften Entmaterialisierung des Gasbehälters, im kraftvollen Rauchen und Stampfen der Lokomotive und im Eingebundensein des Menschen in den industriellen Prozess. Die Stadt erscheint komprimiert auf eine einzige gewaltige Energiequelle, an der sich gleichsam ihre Existenz erweist. Auch in dem Versuch, Bewegung einzufangen, ist der Einfluss der Futuristen deutlich spürbar, wenngleich es Feininger dabei weniger auf Simultanität, d.h. Gleichzeitigkeit verschiedener Stufen eines Handlungsablaufs, als vielmehr auf den transitorischen Moment, d.h. den Höhepunkt der Aktion, ankam. So suggerieren die Stellung des Pleuelgestänges und der nach hinten wehende Dampf der Lokomotive Dynamik, ohne dass es zu einer Multiplizierung der gerade in Bewegung befindlichen Bildgegenstände käme.“2
Fußnoten
1 Schirn, Pressemitteilung vom 5. September 2023
2 Bartmann, Dominik: Lyonel Feininger, Gasometer in Berlin-Schöneberg, 1912 in: „Die Schönheit der großen Stadt, Berliner Bilder von Gaertner bis Fetting“, herausgegeben von Paul Spies und Dominik Bartmann. Verlag M, Berlin 2018, S. 172.
Ausstellungsort
Schirn Kunsthalle
Römerberg
60311 Frankfurt a.M.