Magnus Hirschfeld
Der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868 – 1935) gilt heute als ein Wegbereiter der Emanzipationsbewegung sexueller Minderheiten.
Vater Hermann, der in dem beliebten Ostseebad als Arzt praktizierte und mit Mutter Friederike eine Familien-Pension betrieb, nahm 1870/71 im preußischen Sanitätsdienst am Deutsch-Französischen Krieg teil, wofür ihm der Ehrentitel Sanitätsrat verliehen wurde.
Von 1888 bis 1892 absolvierte er erfolgreich ein Studium der Medizin in Straßburg/Elsass (heute Strasbourg, Frankreich), München, Heidelberg und Berlin. Mit dem 1892 erworbenen Doktortitel in der Tasche, eröffnete er nach Reisen in die USA, Nordafrika und Italien 1894 eine Praxis für Naturheilkunde und Allgemeinmedizin in Magdeburg.
Als Arzt gegen Not und Diskriminierung
Mit 28 Jahren kam der junge Arzt aus bürgerlichem Hause 1896 in die damals noch selbstständige Stadt Charlottenburg, nach eigener Aussage tief betroffen vom Prozess gegen den britischen Schriftsteller Oscar Wilde, der 1895 wegen seiner Homosexualität eine Haftstrafe mit Zwangsarbeit antreten musste.
Bedrückt hatte Hirschfeld zudem das Schicksal eines seiner homosexuellen Patienten, der sich am Vorabend der eigenen Hochzeit erschoss. Die Notlage einer Minderheit, der er selbst angehörte, bildete den Ausgangspunkt für Hirschfelds couragierte Arbeit gegen bestehende Vorurteile und diskriminierende Gesetze.
In der Berliner Straße (heute Otto-Suhr-Allee) setzte Dr. Magnus Hirschfeld ab 1896 in einer Gemeinschaftspraxis seine ärztliche Tätigkeit fort. Im selben Jahr veröffentlichte er seine erste Schrift zur Homosexualität: „Sappho und Sokrates oder: Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts?“ Darin erweiterte Hirschfeld die traditionelle Unterscheidung zwischen entweder Mann oder Frau um seine Idee der Zwischenstufen.
Dieser Theorie zufolge vereine jeder Mann und jede Frau in unterschiedlichem Maße Eigenschaften der beiden Geschlechter, wodurch sich viele, individuelle Zwischenstufen ergäben. Damit untermauerte er seine Forderung, die anhaltende Diskriminierung, ja Kriminalisierung homo- und bisexueller Menschen zu beenden, denn Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs verbot sexuelle Handlungen zwischen Männern – bei Zuwiderhandlung drohte Gefängnis.
Einsatz für die Sexualreform
Unter seinem Lebensmotto „durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ setzte sich Hirschfeld für eine Sexualreform ein, die Homosexuelle entkriminalisieren sollte. Pionierarbeit dafür leistete er 1897 mit der Gründung und Leitung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees, das für die Streichung des Paragraphen 175 aus dem Strafgesetzbuch eintrat. Eine entsprechende Petition an den deutschen Reichstag unterzeichneten bereits 1897 etwa 200 zum Teil namhafte Persönlichkeiten. Von 1899 bis 1923 gab Hirschfeld das „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ heraus, das vielfältige Themen und Forschungen rund um die Homosexualität zum Inhalt hatte.Die allgemeine Lebensreformbewegung, die sich um 1900 für bessere menschliche Lebensbedingungen in der Industriegesellschaft einsetzte, brachte bereits ein differenzierteres Forschungsinteresse an der Homosexualität mit sich, nachdem diese bisher lediglich als „krankhaftes“ Phänomen oder Straftatbestand Aufmerksamkeit gefunden hatte.
Der Forscher wird zur Zielscheibe
Nachdem Hirschfeld bereits ab 1910 als Spezialarzt für nervöse und seelische Leiden tätig gewesen war, erwarb er 1918 eine Villa im Großen Tiergarten (In den Zelten 10, heute Große Querallee) in Berlin. Hier gründete er im Juli 1919 das Institut für Sexualwissenschaft, eine private Stiftung zur Erforschung der menschlichen Sexualität und die weltweit erste Einrichtung ihrer Art. Kurse und Vorträge zur sexuellen Aufklärung, Führungen durch Archiv und Lehrmuseum gehörten zum Angebot. Menschen mit Sexualproblemen fanden in diesem Institut Beratung, Therapie und notfalls auch Zuflucht.
Im Jahr 1919 wirkte Hirschfeld auch an Richard Oswalds Stummfilm „Anders als die Andern“ mit, der sich erstmals filmisch mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzte. Neben seiner Mitarbeit am Drehbuch spielte Hirschfeld darin vor der Kamera sich selbst .
Exil und Tod
1930/31 unternahm Hirschfeld eine Vortrags- und Studienreise durch Nordamerika, Asien und Vorderasien. Über die dabei gesammelten Erfahrungen berichtete er später in einem Buch. Doch seine Beobachtungen, seine Forschungsergebnisse und seine Lehre standen in direktem Gegensatz zur Weltanschauung des aufkommenden Nationalsozialismus. Als Freigeist, Homosexueller und Jude gleich dreifach im Visier der neuen Machthaber, kehrte er unter dem Druck der drohenden Verfolgung nicht nach Deutschland zurück. Nach einem Zwischenaufenthalt in der Schweiz ließ er sich in Frankreich nieder, um seine Arbeit im Exil fortzusetzen.
Dort musste er 1933 die Zerstörung seines Werks und den Rückfall hinter alles bisher Erreichte erleben. In Paris erfuhr Hirschfeld davon, dass sein Institut am 6. Mai geschlossen und zerstört, seine Bücher am 8. Mai auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) verbrannt worden waren. So begann er damit, in der französischen Hauptstadt ein neues Institut für Sexualwissenschaft aufzubauen.
Die Fortsetzung seines Lebenswerks blieb ihm allerdings verwehrt. Am 14. Mai 1935, seinem 67. Geburtstag, starb Magnus Hirschfeld in Nizza. Erst 1994 – fast ein Jahrhundert nach seiner Petition an die gesetzgebenden Körperschaften des Deutschen Reiches – strich der Deutsche Bundestag den Paragrafen 175 aus dem Strafgesetzbuch.
Gedenken
An das erste und in seiner Zeit einzigartige Institut für Sexualwissenschaft erinnert heute eine Gedenk-Stele nahe dem ehemaligen Standort, an Hirschfelds Charlottenburger Praxis eine Stele vor dem Nachfolgebau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäudes. Seit 1982 bewahrt und erforscht die in Berlin ansässige Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e. V. das wissenschaftliche und kulturelle Erbe des Sexualforschers und dessen Stiftung.
Im Berliner Ortsteil Moabit erhielt 2008 eine Straße zwischen Luther- und Moltkebrücke den Namen Magnus-Hirschfeld-Ufer, wo zudem seit 2017 ein Denkmal aus sechs riesigen Calla-Lilien in den Regenborgenfarben für die natürliche Vielfalt sexueller Identitäten steht. Auch in Oranienburg-Lehnitz, Magdeburg und Nürnberg wurden eine Straße, ein Platz und ein Weg nach Magnus Hirschfeld benannt.
Dieser Text ist eine erweiterte Fassung des Beitrags „Magnus Hirschfeld – Arzt anders als die Anderen“ von Anne Franzkowiak, 2012 erschienen im Katalog zur Ausstellung „BERLIN macher: 775 Porträts – ein Netzwerk“ des Stadtmuseums Berlin im Museum Ephraim-Palais (Verlag: Kerber Forum), redaktionell bearbeitet und ergänzt von Heiko Noack. Wir bedanken uns bei der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e. V. für die freundliche Unterstützung und weiterführende Informationen.