Die Perrier-Flasche von 1928 enthält statt Mineralwasser Taufwasser aus dem Fluss Jordan.
© Stadtmuseum Berlin

Perrier-Flasche (1928) mit Taufwasser aus dem Jordan

OBJEKT DES MONATS APRIL 2021

Drauf steht „Perrier“, drin ist Wasser aus einem Fluss, der vielen christlichen Gläubigen heilig ist. Doch die Flasche erzählt nicht nur vom Glauben, sondern auch von einer Berliner Familiengeschichte vor dem Hintergrund von Flucht und Vertreibung.

von Matthias Hahn
Mit vier Monaten wurde Maria Charlotte Marguerite Schauss im April 1934 getauft. Damit gehörte sie der Französisch-Reformierten Kirche an. Doch das Besondere war, dass das Taufwasser aus dem Jordan stammte – jenem Fluss, in dem der Legende nach Jesus Christus getauft worden sein soll. Der Grund dafür führt tief in eine Berliner Familiengeschichte, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht.
Büste von Maria Schauss
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Wappen der Familie de Chaussier, um 1700
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Königliche Abstammung, Krieg und Vertreibung

Marias Urahnin Charlotte Marguérite, die Tochter von Louis I. de Bourbon, Prinz von Condé, wuchs in einem vornehmen südfranzösischen Adelshaus auf. Standesgemäß heiratete sie um 1570 der Marquis Louis de Chaussier. Sie gebar zwei Kinder, lebte jedoch aufgrund politischer Umwälzungen nur wenige Jahre mit ihrem Mann: Louis kämpfte und starb in einem Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten, der schon ihren Vater das Leben gekostet hatte. Da auch ihr eigenes Leben bedroht war, flüchtete sie wie andere protestantischen Glaubens ins Ausland. Als Fremde lebte sie verborgen und in Armut im Rheingau. Noch für ihre Enkel blieb das Leben aufgrund ihrer Herkunft gefährlich. Später, änderten sie den Familiennamen de Chaussier in Schauss und gingen in die Pfalz, später dann nach Berlin.

Neubeginn, Erfolgsgarantien und Aufstieg

Flucht und Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich lagen knapp achtzig Jahre zurück, als Schneidermeister Jean George Schauss im März 1782 in Berlin seinen Bürgerbrief erhielt. Hier konnte er frei seine Religion ausüben, volle Bürgerrechte genießen und ein französisches Netzwerk erleichterte den sozialen Aufstieg seiner Familie. 
Bürgerbrief für Jean George Schauss, 1782 | Johann Georg Schauss (Portrait, unbekannter Künstler), um 1810
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Wilhelm Ferdinand Schauss (Gemälde seines Sohnes Ferdinand Schauss), 1865 | Ferdinand Schauss (Selbstportrait), um 1870
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Sein Sohn Wilhelm Ferdinand gelangte als Kaufmann zu Wohlstand, erfuhr Anerkennung, Ehrungen und wurde 1843 zum Stadtverordneten berufen. Als Marias Urgroßvater war er es, der den Grundstein für den erneuten Aufstieg der Familie legte.
Besonders bekannt wurde Wilhelm Ferdinands 1832 geborener Sohn Guillaume Ferdinand. Nach dem Studium in Berlin und Paris erhielt er in Weimar 1874 eine Professur. Als Künstler war er in Kunstausstellungen und großbürgerlichen Wohnungen Berlins mit Gemälden vertreten. Zwischen seinem Zuhause und dem Atelier wuchsen seine Kinder auf, die er oft portraitierte, darunter sein jüngster Sohn Georg Valentin, Marias späterer Vater.
Ferdinand Schauss mit Nichte Käthe im Atelier, um 1910 | Georg Valentin Schauss (Gemälde seines Vaters Ferdinand Schauss), 1894
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Programm der ersten Orientfahrt des Dampfers „Stuttgart“, 1928 | Taufstelle am Jordan, Foto aus dem Reisealbum von Valentin Schauss, 1928
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Marias Vater und die Taufe

Valentin genoss aufgrund des wohlhabenden Elternhauses eine sorglose Kindheit und eine gute Ausbildung: Gymnasium, Studium der Medizin in Berlin und anderenorts, schließlich Promotion. Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Sanitäts- und Schiffsarzt. Im Krieg entschloss sich Valentin, die elterliche Wohnung in Berlin aufzulösen und den Besitz nach Itzehoe zu bringen, wo er fortan lebte – eine glückliche Entscheidung, da die Wohnung im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unterging. Als praktischer Arzt hatte er eine eigene Praxis, gute Kontakte, vielfältige Interessen und das Reisen war seine Leidenschaft. Es folgten Ehe und Kind.

Eine seiner Reisen sollte für Tochter Maria besondere Bedeutung erlangen. Von Haifa war Valentin 1928 zum Jordan gereist, um für die Taufe seiner zukünftigen Kinder Wasser in die Mineralwasserflasche zu füllen. Am 8. April 1934 war es soweit. Marias Mutter schrieb in ihr Tagebuch: „Heute ist unser Liebling […] getauft worden. Das Taufwasser hat ihr Papa schon als Junggeselle an der Taufstelle im Jordan geschöpft – in weiser Voraussicht!“

Familienerbe als Vermächtnis

Zeit ihres Lebens bewahrte Maria alle Erinnerungsstücke an ihre Vorfahren: prachtvolle Kronleuchter, die Gemälde des Großvaters Guillaume Ferdinand, selbst ein Armlehnstuhl, in dem sich ihr Urgroßvater von ihm portraitieren ließ. Im Alter entschloss sie sich, den Familiennachlass dem Stadtmuseum Berlin zu übergeben: nahezu den gesamten künstlerischen Nachlass ihres Großvaters sowie weitere bedeutende Zeugnisse aus dem Leben einer über Generationen mit Berlin verwobenen Familiengeschichte, von der die unscheinbare Mineralwasserflasche erzählt.

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