Punk in der Kirche. Ost-Berlin 1979-89
Ein Ausstellungsbereich im Raum „Freiraum“ bei BERLIN GLOBAL gibt der Punkszene in der ehemaligen DDR eine Stimme.
Ost- und Westberlin waren trotz Mauer stärker verbunden als man denkt. Gerade die Jugendbewegungen und ihre Musik fanden stets einen Weg, sich über die real-existierenden Grenzen hinwegzusetzen. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre kam der Punk auch im Ostteil der Stadt an: Über verbotene Musiksender wie BBC und RIAS hörten die Jugendlichen erstmals den rauen, ungezähmten Sound der Sex Pistols oder den Dub von The Clash. Über Mundpropaganda und Kassetten-Mitschnitte aus Ost-Berlin verbreitete sich die Musik im Rest der DDR, auch in Halle, Leipzig, Dresden und Erfurt gab es nennenswerte Punkszenen.
Jetzt hat es der Punk auch ins Museum geschafft. „Diese auch im Westen marginalisierte Subkultur übte auf die Jugendlichen in der DDR eine große Faszination aus. Sie waren zuerst fasziniert von dem unkonformen Punk, der Anstoß erregte, und auch ihnen die Möglichkeit gab, sich vom System abzugrenzen“, sagt Kuratorin Ulrike Rothe, die mit dem Team der Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e. V. die Ausstellung maßgeblich gestaltete. „In der DDR, in der das Leben der Menschen von oben bestimmt und verplant wurde, war die Parole der Jugendlichen eher ‚Too much future‘, und so galt Punk im Sozialismus schnell als eine der radikalsten Protestbewegungen.“
Unpolitisch politisch
Die anfangs eher unpolitischen Ost-Berliner Punks trafen sich zum Musikhören, Quatschmachen und Biertrinken am Alexanderplatz oder im Kulturpark Plänterwald. Doch sie wurden von Anfang an von der politischen Abteilung der Volkspolizei überwacht, es gab Verhaftungen auf offener Straße. Auch in Schulen und Betrieben wurde Zwang gegen die Punks ausgeübt, wie Anne Hahn erzählt: „Man hat nicht verstehen können, dass die Jugendlichen an der Zukunft in der DDR nicht interessiert waren. Lehrer, Meister und Eltern wurden angehalten, den Jugendlichen massiven Druck zu machen.“Die Buchautorin und Punkinsiderin hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Museumsprojekt mitgearbeitet, sie war selbst in ihrer Jugend in der Szene in Magdeburg aktiv. Weil sie einige Punkkonzerte organisiert hatte, wurde ihr der Zugang zum Studium verweigert. Bei dem Versuch über Aserbaidschan in den Westen zu kommen, wurde die junge Frau verhaftet und zurück in die DDR gebracht, wo sie ein halbes Jahr, bis dann die Mauer fiel, im Gefängnis verbrachte.
Heimliche Konzerte
Wie Hahn in ihrem Buch „Pogo in Bratwurstland“ beschreibt, gründeten sich in der DDR erste Punkbands, die bekanntesten waren „Schleimkeim“ aus Erfurt, „Namenlos“, „Feeling B“ und „Planlos“ aus Berlin. Schnell wurden Spitzel in die Punkszene eingeschleust und heimliche Konzerte mit Polizeigewalt zerschlagen. Die brutale Vehemenz, mit der der Staat auf die Punks reagierte, ist erstaunlich, denn in der gesamten DDR gab es anfangs nur rund 900 Personen, die laut Stasi-Unterlagen der Punkszene zugeschrieben wurden. Unterschlupf vor der ständigen Verfolgung fanden die Punks im politischen Freiraum der Kirchen, wo sie sich treffen konnten und vor der staatlichen Verfolgung weitgehend sicher waren.Die offene Arbeit der evangelischen Kirchen richtete sich an konfessionslose Jugendliche aller Subkulturen und wurde durch eigens ausgebildete Sozialdiakone geleistet, nicht selten gegen den Widerstand eigener Kirchenmitglieder. Den Kontrast kann man auch in der Ausstellung sehen:
„Punk lebt – Jesus klebt“
Ein wandhohes Foto aus einem Altarraum mit dem Kreuz und dem Plakat „Punk lebt – Jesus klebt“ beweist, dass die jungen Punks ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur Kirche hatten. Die Ausstellungsstücke zeigen zudem, wie einfallsreich die jungen Punks waren, wie sie ihre Musik per Kassetten verbreiteten, Protestbuttons bastelten oder sich ihre Outfits selbst zusammenschneiderten. Auch selbstgedrehte Filme von Punkkonzerten sind zu sehen sowie verfremdete erkennungsdienstliche Bilder der Stasi.
Zu hören ist Punk Musik. Viele der seltenen Bilder, Filmausschnitte und Ausstellungsstücke stammen aus dem Bestand der Robert-Havemann- Gesellschaft und von privaten Leihgeber:innen, die jene Stücke aus ihrer Jugend gerettet haben.
Anne Hahn ist Zeitzeugin und war als Jugendliche in der Punkszene in Magdeburg aktiv. Die Buchautorin hat an der Ausstellung mitgewirkt.
„Wenn ich zurückschaue durch die Zeit, sehe ich uns wie gestern: schwarze Gestalten mit wilden Herzen, zwischen dreizehn und zwanzig. Wir hatten keinen Respekt vor niemand und jede Menge dunkler Energie. Wir rannten im Pulk herum, in jeder Klitsche gab es ein paar von uns, in den Städten große Haufen. Lederjacke, Haare hoch. Mancher soff zu viel, andre tranken Tee. Einer schnüffelte Klebstoff, bis er vom Dach flog. Eine trug Fahrradketten, eine ne Omahandtasche, die andre ihre Ratte. Einer trug Reiterhosen, einer ein Jackett, der dritte Bomberjacke. Eine malte gern, ein anderer schrieb Gedichte, wir liebten die gleiche Musik. Lasen Bakunin und Nietzsche, spielten Schach oder Liebes-Skat. Wir pilgerten zu unsren Konzerten, flohen vor den Bullen und lachten die Spießer aus, die Proleten an den Haltestellen, die Hausmeister und ABVs. Einer reiste aus, eine ging in den Knast, einer erschlug seinen Vater, die andere bekam ein Kind.“
Erschienen im Tagesspiegel am 14.12.2024
Die Ausstellungspräsentation ist im Raum Freiraum bei BERLIN GLOBAL zu sehen.