Seit Jahrhunderten schon ist Berlin im Frieden wie im Krieg immer wieder von Epidemien heimgesucht worden. Ihre Auswirkungen waren oft verheerend. Doch sie gaben auch wichtige Impulse für neue medizinische und kulturelle Entwicklungen, von denen wir noch heute profitieren – und die untrennbar mit den Namen berühmter Persönlichkeiten verbunden sind.
Die Pest und Leonhard Thurneisser
Faszination und Schaudern erfüllt im Märkischen Museum Menschen jeden Alters, wenn sie die lebensgroße Nachbildung eines mittelalterlichen Pestarztes betrachten. Die in kunstvoller Handarbeit gefertigte, pechschwarze Figur aus Glasfaserkunstoff, gewachstem Leinen und Leder ist seit Jahren ein Highlight-Objekt und Publikumsmagnet in der Dauerausstellung BerlinZEIT. An ihr wird anschaulich, wie sich behandelnde Ärzte während der Berlin-Cöllner Pest-Epidemien im 16. und 17. Jahrhundert vor der Ansteckung zu schützen versuchten.
Die Schutzkleidung des Mittelalters
In Unkenntnis der Infektionswege vermuteten die Menschen jener Zeit eine Übertragung der Krankheit durch ansteckende Ausdünstungen, den „Pesthauch“. Daher war die Schutzkleidung der Ärzte so luftdicht wie möglich, Oberflächen und Nähte waren durch Wachs versiegelt und das Gesicht wurde durch eine Haube geschützt, deren charakteristischer Schnabel mit Essigschwämmen und Kräutern gefüllt war.
Der Duft der Essenzen, wie Wacholder, Amber, Zitronenmelisse, Grüne Minze, Kampfer, Gewürznelken, Myrrhe, Rosen oder Styrax, würde, so nahm man an, die Atemluft des Maskenträgers vom „Pesthauch“ reinigen. Sogar die Augen waren durch eine glasähnliche Scheibe aus Marienglas (Selenit) geschützt, einer durchsichtigen Gipsart, die dem Arzt Schutz und klare Sicht bot. Die krähenhafte Gestalt des im Museum ausgestellten Pestarztes trägt außerdem einen Stock in der behandschuhten Hand, vermutlich um aus sicherem Abstand auf kranke Menschen und Körperteile deuten zu können.
Verhaltensregeln
Der Infektionsweg des Pestbakteriums über den Pestfloh, der von Ratten auf den Menschen überging, war damals unbekannt. Die unhygienischen Zustände in den Städten verstärkten das Ansteckungsrisiko zudem dramatisch. Die Pest wurde jedoch nicht nur über den Rattenfloh übertragen, sondern als Lungenpest auch über eine Tröpfcheninfektion, die – wie das aktuelle Corona-Virus – von Mensch zu Mensch übertragen wurde.
Der hundertfach an öffentlichen Plätzen angebrachte Aufruf forderte die Bevölkerung zu besonderen Maßnahmen auf, um die Verbreitung der Seuche einzudämmen. Dazu gehörte unter anderem die Einnahme vorbeugender „Medikamente“ sowie das regelmäßige Baden – auch der Haus- und Nutztiere – in der Spree. Die Berlin-Cöllner Obrigkeit verbot zudem öffentliche Zusammenkünfte, die Speisung in öffentlichen Küchen, Straßen wurden gesperrt, Bier- und Weinkeller geschlossen. Besonders letztere Vorschrift wurde von der Bevölkerung heimlich umgangen – wohl mit verheerenden Folgen.
Spuren der Pest
Künstlerisch wurde die Hilflosigkeit, die die Menschen angesichts der verheerenden Epidemien mit tausenden von Toten empfanden, in dem um 1470 entstandenen Totentanz-Fresko in der Berliner Marienkirche verarbeitet. Die überwältigende Größe des Werkes von über 22 Metern Länge und 2 Metern Höhe spricht für sich.
Im 17. Jahrhundert forderten der Dreißigjährige Krieg und nachfolgende Seuchen erneut zahllose Opfer. Als der Theologe und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt im Kriegsjahr 1643 nach Berlin kam, um schließlich Pfarrer an der Nikolaikirche zu werden waren viele Menschen in Berlin durch Krieg, Pest und weitere Infektionskrankheiten dahingerafft worden. So soll die Stadt bei Kriegsende 1648 nur noch die Hälfte ihrer einst 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner gezählt haben. Paul Gerhardts tröstliche Lieder aus schwerer Zeit sind heute allgemeines Kulturgut. Sie zeugen davon, dass die Stadt schon manche Katastrophen überstanden hat und können so gerade in der bevorstehenden Osterzeit Trost und Kraft spenden.
Zu den heute noch sichtbaren Spuren der Pest zählt nicht zuletzt die Berliner Charité, an der zurzeit mit Hochdruck Viren erforscht und Kranke versorgt werden: Die heute weltberühmte Klinik geht auf ein 1708 vom preußischen König Friedrich I. gegründetes Pesthaus zurück.
Die Cholera und Robert Koch
Nicht nur die Pest hinterließ in Berlins Geschichte ihre Spuren. Ab 1831 wurde Berlin über Jahrzehnte immer wieder von heftigen Cholera-Epidemien heimgesucht: Allein von September 1831 bis Februar 1832 forderte die bakterielle Durchfallerkrankung etwa 1400 Tote. Auch hier vermutete man eine Übertragung durch Ausdünstungen (Miasmen), ähnlich wie bei der Pest. So wurde versucht, die Ausbreitung der Epidemie durch Isolation erkrankter Menschen und „luftreinigendes“ Räucherwerk verschiedenster Art einzudämmen. Und wie heute bereiteten Angst und Unwissenheit den Nährboden für allerlei Verschwörungstheorien – vom Misstrauen gegenüber Ärzten über Gerüchte rund um wirtschaftliche Interessen bis hin zu antisemitischen Verleumdungen angeblicher Brunnenvergiftungen.
Die Hygiene-Geschichte und Rudolf Virchow
Viele Krankheiten, die von der Vergangenheit bis in die Gegenwart viele Tote gekostet haben, lassen sich durch einfache Vorsichtsmaßnahmen einschränken oder vermeiden. Die schlichte Notwendigkeit des Händewaschens wird heute bereits Kindern vermittelt und die gesundheitlichen Gefahren von unreinem Trinkwasser, fehlenden Abwassersystemen oder schimmelnden Wohnungen sind bekannt. Doch all diese Erkenntnisse sind Errungenschaften, für die in der Neuzeit geforscht und gekämpft werden musste.
Und heute?
Trotz unvergleichlich besserer medizinischer Versorgung und organisatorischer Möglichkeiten als in den vergangenen Jahrhunderten hält Berlin angesichts der Corona-Krise den Atem an. Doch damals wie heute können neue medizinische Erkenntnisse, gepaart mit neuen Einsichten in psychosoziale, politische und kulturelle Zusammenhänge dazu beitragen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Dies lehrt die Geschichte.