Bildpostkarte mit dem Portrait von Walter Jankuhn, Foto-Atelier Wien, um 1930
© Nachlass Walter Jankuhn | Stadtmuseum Berlin

Walter Jankuhn

Das künstlerische Leben des Tenors Walter Jankuhn (1888-1953) ist eng verwoben mit der Berliner Operettengeschichte. Mit dem Aufkommen des Tonfilms wurde Jankuhn in den 1920er und 1930er Jahren auch als singender Schauspieler bekannt.

von Bärbel Reißmann

Am 14. Juli 1888 wurde Walter Jankuhn als Sohn eines Kürschners im ostpreußischen Braunsberg (heute Braniewo, Polen) geboren. Nach seinem Musikstudium in Berlin debütierte der neunzehnjährige Tenor 1907 am Theater des Westens in der Operette Der fidele Bauer des österreichischen Komponisten Leo Fall (1873-1925).

Mit der Neuausrichtung des Neuen Theaters am Schiffbauerdamm (heute: Berliner Ensemble) vom Sprech- zum Operettentheater erhielt Jankuhn seine erste große Rolle in Berlin: 1912 spielte er neben der aus Wien stammenden Schauspielerin und Sängerin Fritzi Massary (1882-1969) die männliche Hauptrolle in der Uraufführung der Operette Der liebe Augustin  von Leo Fall.

Es folgten erste Engagements an Operetten-Bühnen in Hamburg. Ab 1916 war er am Mellini-Theater in Hannover beschäftigt, dem er zeitlebens verbunden blieb.

Walter Jankuhns beruflicher Weg führte ihn nicht nur durch die Operettenhäuser Berlins. Von 1920 bis 1924 war der Sänger an einem deutschsprachigen Theater in New York engagiert und tourte quer durch Amerika. Mit der Grande Companhia Allema de Operetas gastierte er in verschiedenen Städten in Süd- und Mittelamerika, wie Porte Allegre, Montevideo und Rio de Janeiro. In Montevideo heiratete Jankuhn 1921 seine Gesangspartnerin Mizzi Delorm.

1924 nach Deutschland zurückgekehrt, pendelte er zwischen den Bühnen in Breslau, Hannover und Frankfurt am Main. Doch die von Berlin ausgehende weltstädtische Atmosphäre zog auch Walter Jankuhn an.
 
Aus der Reichshauptstadt war mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der politischen Stabilisierung eine stetig wachsende Metropole geworden, die mit einer blühenden Unterhaltungsindustrie Besucher:innen aus aller Welt anlockte.
Operetten waren gefragter denn je. Neben Wien wurde Berlin zum neuen Zentrum des Genres.

Gut zu wissen

Die Operette (ital. „Kleine Oper“) ist ein musikalisches Bühnenwerk, deren Handlung in ein bis drei Akte unterteilt ist. Die Operetten des 20. Jahrhunderts setzten sich meist aus drei Akten zusammen. Im ersten Akt geht es oftmals um die Entwicklung einer Liebesbeziehung zwischen zwei Personen, die aus diversen Gründen gesellschaftlich nicht anerkannt oder nicht passend ist. Im zweiten Akt kommt es zum Konflikt, vor der Pause droht das Scheitern der Beziehung. Im dritten Akt wird eine Lösung gefunden, meist endet die Handlung in einem Happy End. Anders als in der Oper wird in der Operette gesprochen, getanzt und gesungen. Gattungsgeschichtlich stammt die Oper aus der antiken Tragödie, wohingegen die Operette ihren Ursprung in der Komödie hat.

Das Metropol-Theater und das Theater des Westens gehörten zu den größten und angesehensten Operettenhäusern in Berlin. Hier wurde regelmäßig und erfolgreich Operetten- und Unterhaltungstheater für ein breites Publikum geboten.

Die Geburtsstunde der typisch berlinischen Operette hatte bereits am 1. Mai 1899 mit Paul Linckes (1866-1946) einaktigem Werk Frau Luna im Apollo-Theater geschlagen. Deftig und volksnah, mit eingängigen Melodien im gemäßigten Marschrhythmus, hatte er das Lebensgefühl der Berliner:innen mit Herz und Schnauze musikalisch zum Ausdruck gebracht.

Wegbereiter dieses, mit viel Lokalkolorit versehenen Genres, waren nach ihm die Komponisten Jean Gilbert (1879-1942) und Walter Kollo (1878-1940).
Autogrammkarte von Paul Lincke an Karin Jankuhn (geb. Ahrens), zweite Ehefrau von Walter Jankuhn, Berlin 1941
© Nachlass Walter Jankuhn | Stadtmuseum Berlin

In den 1920er Jahren etablierte sich daneben eine neue, dicht am Puls der Zeit orientierte Kunstform: die Revue-Operette. Es waren die Bühnenwerke, in denen Walter Jankuhn den Höhepunkt seiner Berliner Karriere erlebte.

Berliner Revuen

Revuen hatten in Berlin durchaus schon Tradition. Von 1902 bis zum Ersten Weltkrieg strömte das Berliner Publikum in das prachtvolle Metropol-Theater. Dort brachten der Hauskomponist Victor Holländer (1866-1940), ab 1908 auch der Komponist Paul Lincke, in steter Folge Jahresrevuen heraus, in denen bühnenwirksame Ereignisse des jeweils vergangenen Jahres in Szene gesetzt wurden. In einzelnen Bildern und prächtiger Ausstattung waren diese Abende gesellschaftliche Ereignisse für die elegante Welt.

Programmheft zu Madame Pompadour, Berlin 1927/28
© Nachlass Walter Jankuhn | Stadtmuseum Berlin
Von 1925 bis 1930 war Jankuhn für mehrere Produktionen am Großen Schauspielhaus engagiert. 1924 übernahm der Regisseur Eric Charell (1894-1974), der seine berufliche Laufbahn als Tänzer begonnen hatte, das Haus. In den ersten drei Jahren brachte er spektakuläre Ausstattungsrevuen heraus. In den Produktionen Für Dich, 1925 und Mikado, 1927 war auch Walter Jankuhn zu sehen. In der Spielzeit 1927/28 begann mit Charells’ Revue-Operetten eine neue Ära. Den Auftakt gab Leo Falls Erfolgsoperette Madame Pompadour aus dem Jahr 1922. Charell übernahm die Regie und inszenierte das Werk als große Operette in 14 Bildern mit grandiosem Erfolg. Walter Jankuhn spielte an der Seite von Fritzi Massary in einem von Erotik, Witz und Ironie getragenen Bühnenwerk, das zwar zur Zeit des Rokokos spielte, jedoch keinen Bezug zur Gegenwart aufwies.
 

Unvergesslich blieb Jankuhn in seiner Parade-Rolle als Danilo in der Neubearbeitung von Franz Lehár’s Operette Die lustige Witwe (Premiere im Metropol-Theater, 25.12.1928). Charell verwandelte das Stück in eine Tanzoperette mit zeitgemäßen Rhythmen und frechen Texten. Fritzi Massary als lustige Witwe war charmanter und bezaubernder denn je, dem Presseurteil (Breslauer Zeitung vom 13.1.129) folgend war auch ihr Partner Walter Jankuhn „ein ebenbürtiges Gegenstück an Eleganz der Erscheinung und feurigem Glanz in der Stimme“. 1929 wirkte Jankuhn in der erfolgreichen Revue-Operette Die drei Musketiere (Premiere im Großen Schauspielhaus, 31.8.1929) mit.

Das originale Lustspiel wurde für die Neuaufführung zum Teil umgeschrieben, Charaktere neu eingeführt und die Musik, dem modernen Zeitgeschmack entsprechend, komponiert. Dafür sorgte vor allem der Wiener Komponist Ralph Benatzky. Einzelne Gesangsnummern schrieben dessen Kollegen Robert Stolz (1880-1975) und Bruno Granichstädten (1879-1944). Charells effektreiche Inszenierung war ein außergewöhnlicher Erfolg. Walter Jankuhn war in der Rolle des Rechtsanwalts Dr. Erich Siedler für die gesamte Laufzeit des Operettenstücks im Großen Schauspielhaus zu sehen.

Zwei Spielzeiten hindurch ließ das Interesse des Publikums nicht nach, es wurde ensuite gespielt. Es folgten weltweite Aufführungen. Noch populärer wurde die Operette wurde durch die Verfilmung von Willi Forst (1903-1980).

Ein Operettentenor als Stummfilm-Darsteller

Walter Jankuhn war vielfältig beschäftigt. Ab Ende der 1920er Jahre zog es den Operettensänger auch zum Film. Seine Premiere als Schauspieler feierte er in einem Stummfilm.

Filmhistorische Bedeutung hat der abendfüllende Operetten-Spielfilm Dich hab’ ich geliebt unter der Regie von Rudolf-Walther Fein (1875-1933). Er gilt als erster deutscher Tonfilm, der ausschließlich in Deutschland gedreht wurde. Es ist zudem der erste deutsche Tonfilm, in dem alle Dialoge zu hören sind. Neben Mady Christians (1896-1951) und Hans Stüwe (1901-1976) spielte auch Walter Jankuhn eine der Hauptrollen.

Werbung aus dem „Illustrierten Filmkurier“
© Nachlass Walter Jankuhn | Stadtmuseum Berlin

Dich hab’ ich geliebt

Uraufgeführt wurde der Film am 22. November 1929 in zwei Berliner Kinos. Der Film erfreute sich großer Beliebtheit; es gab eine französische (Mon amour) und bald auch eine US-amerikanische Fassung, die unter dem Titel Because I Loved You 1930 auf den Markt kam. Weitere Aufführungen gab es in Finnland, den Niederlanden und Bulgarien. Den gleichnamigen Titelsong nahm Walter Jankuhn bei Odeon auf. Der langsame Walzer wurde zu einem Kassenerfolg.

Aufnahmen von Operetten auf Tonträgern waren für Walter Jankuhn nicht neu. Bereits 1912 wurden Phonographen-Walzen bei Edison mit Auszügen aus der Operette Der liebe Augustin (Wo steht denn das geschrieben?, Anna, was ist denn mit dir?) aufgenommen. Jankuhns Gesangspartnerin war Mizzi Geissler, eine Sängerin, über die wir bisher nichts wissen. 1929 folgten Platteneinspielungen von Die lustige Witwe sowohl mit Fritzi Massary also auch mit der Schauspielerin und Sängerin Uschi Elleot (1899-1975). Die Aufnahme des Songs Die ganze Welt ist himmelblau (1930) aus dem Weißen Röss’l mit Walter Jankuhn ist heute noch auf CD erhältlich. Die Einspielung auf einer Schellack-Platte befindet sich im Nachlass Walter Jankuhns im Stadtmuseum Berlin.

Theater am Nollendorfplatz

Von 1933 bis 1934 leitete Walter Jankuhn das Theater am Nollendorfplatz. Das Gebäude am Nollendorfplatz 5, das heutige Metropol, wurde von den KaDeWe-Architekten Boswau & Knauer entworfen und im Jahr 1906 fertiggestellt. Der Theatersaal hatte damals eine Kapazität von 1108 Sitzplätzen, während im vorderen Teil des Gebäudes der Mozartsaal zu finden war. Dieser war vollständig mit Mahagoniholz verkleidet und präsentierte eine prächtige Innenausstattung, die sowohl den kaiserlichen Hof als auch die wohlhabende Bürgerschaft beeindrucken sollte. Bereits 1911 wurde der Mozartsaal in ein Kino umgewandelt. 1927 eröffnete der Regisseur Erwin Piscator (1893-1966) das Schauspielhaus erneut unter dem Namen Theater am Nollendorfplatz.

In seiner Zeit als Direktor hatte er mit den Inszenierungen der Operette Clivia (1933) und dem Lustspiel Krach um Jolanthe (1934) besonderen Erfolg. Die Uraufführung der Operette Clivia des österreichischen Komponisten Nico Dostal (1895-1981) fand am 23. Dezember 1933 statt. Charles Amberg (1894-1946) verfasste das Libretto. Jankuhn selbst spielte die Hauptrolle neben der österreichischen Sopranistin Lillie Claus (1905-2000). Die Operette gilt als das erfolgreichste Bühnenwerk von Nico Dostal. Dostal und Lillie Claus, dessen spätere Ehefrau, standen 1944 auf der so genannten „Gottbegnadeten-Liste“. Diese Liste wurde in der Endphase des Zweiten Weltkrieges im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels erstellt. Darauf waren die Namen von Künstler:innen zu finden, die den Nazis als wichtig und schützenswert erschienen.

In dieser ersten Spielzeit nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten hatte sich die Theaterlandschaft gravierend verändert. Viele Theaterleiter mussten emigrieren. Die einst so erfolgreichen Spielstätten wie das Große Schauspielhaus, das Theater des Westens und der Admiralspalast blieben zunächst geschlossen.  Schon 1932 hatte es Angriffe gegen einzelne Künstler:innen gegeben. Viele der einst gefeierten Stars mussten ihre Karrieren unfreiwillig beenden und Deutschland verlassen, wie Fritzi Massary, die während einer Vorstellung am Metropol-Theater durch Sprechchöre der Nationalsozialisten von der Bühne und damit aus Berlin vertrieben wurde. Für Walter Jankuhn ging das Theaterleben ungebrochen, im Dienst der gleichgeschalteten Kulturpolitik des nationalsozialistischen Staates weiter.

Frau Luna

Im 1935 wiedereröffneten Admiralspalast wurde 1936 Paul Linckes Frau Luna als Revue-Operette inszeniert, mit Walter Jankuhn als Prinz Sternschnuppe , neben Friedel Schuster (1903-1983), als Frau Luna.
Walter Jankuhn als Prinz Sternschnuppe in „Frau Luna“, Berlin 1936
© Nachlass Walter Jankuhn | Stadtmuseum Berlin

Auch in der folgenden Spielzeit war Jankuhn an diesem Theater mit einer Hauptrolle in der Ausstattungs-Operette von Robert Dorsey Heut‘ bin ich verliebt verpflichtet, für die Wolf Leder (1906-2009) eindrucksvolle Bühnenbilder schuf. Neben zwei Aufführungen im Königlichen Schauspielhaus in Potsdam (Wiener Blut, 1938 und Frau im Spiegel, 1938) sowie einer Aufführung im Berliner Varieté Plaza (Drunter und Drüber, 1938), war Heut‘ bin ich verliebt Jankuhns letzte Arbeit für die Operette in Berlin und im Umland vor dem Zweiten Weltkrieg.

Auszüge aus dem Jubliäums-Programmheft

In der Zeit zwischen 1933 und 1945 gastierte Walter Jankuhn an Theaterhäusern in Deutschland und Österreich, unter anderem in Essen, Fürth, Hamburg und Innsbruck. Am Tiroler Landestheater war Jankuhn von 1938 bis 1941 als Sänger und Oberspielleiter engagiert. Engagements führten ihn auch immer wieder ans Mellini-Theater in Hannover. 1940 wurde das Mellini-Theater von der nationalsozialistischen Gemeinschaft Kraft durch Freude (KdF) übernommen (wie das Theater am Schiffbauerdamm und das Theater am Nollendorfplatz in Berlin).

1938 gehörte Walter Jankuhn zu dem Künstler:innen-Ensemble, das für die KdF-Jungfernfahrt der Wilhelm Gustloff zusammengestellt wurde. Für diese Jungfernfahrt nach Italien war auch das Berliner Carise Ballett engagiert, in dem die Tänzerin und Jankuhns spätere Frau Karin Ahrens engagiert war. Jankuhn wurde in der Folge als Solo-Sänger verpflichtet und ging mit dem Ballett auf Europa-Tournee. Von 1941 bis 1943 war Jankuhn laut Angaben im Nachlass mit der KdF in Norwegen, Russland und Frankreich unterwegs.

1939 heiratete Jankuhn seine zweite Frau, die Tänzerin Karin Ahrens. 1944 wurde der gemeinsame Sohn Walter Jankuhn jun. geboren.

Nach dem Krieg kam es nur noch vereinzelt zu Engagements in Berlin, Hannover, Dresden und Bautzen. 1950 war Jankuhn am Berliner Puhlmanntheater als Regisseur und Sänger in Die Glückliche Reise und Graf von Luxemburg zu sehen. Er lebte viele Jahre in Berlin-Schöneberg, wo er 1953 nach langer Krankheit starb.

Nachlass als Schenkung

Das Stadtmuseum Berlin bewahrt den Nachlass von Walter Jankuhn. Zum Nachlass gehören originale Programmhefte, Plakate, Zeitschriften, Fotos, Film- und Tonaufnahmen, die Jankuhn von seinen Engagements aufbewahrt hat. Das Konvolut ist für die Berliner Operettengeschichte von großem Wert.