Weihnacht, Wünsche, Kinderbriefe
Weihnachtswünsche waren für Kinder schon im 19. Jahrhundert sehr wichtig. Doch damals waren es nicht nur die eigenen Wünsche an das Christkind in der Hoffnung auf eine üppige Bescherung. Nein, Kinder schrieben zum Fest auch Briefe mit den besten Weihnachtswünschen für ihre Eltern, was diesen ein stolzes Wohlgefühl verschaffte und den kleinen Schreiber:innen die Sicherheit, der elterlichen Gunst auch weiterhin gewiss zu sein.
Heute ist kaum noch bekannt, dass ein von Kindern geschriebenes und selbst vorgetragenes Gedicht einmal fester Bestandteil des Heiligen Abends war. Dabei erzählt uns diese Tradition viel über das Kindsein in vergangenen Zeiten. Anhand von Weihnachtswunschbriefen aus der Dokumentensammlung des Stadtmuseums Berlin stellen wir einen fast vergessenen Brauch vor, der gut 150 Jahre währte, ehe er ab den 1920er Jahren allmählich wieder verschwand.
Die Ursprünge von Wunschbriefen
Glückwünsche zu übermitteln, ist ein alter Brauch. Sie sind der Versuch des Menschen, das Glück zu beeinflussen, es heraufzubeschwören und festzuhalten. Vor allem besondere Anlässe werden von Glückwünschen begleitet: persönliche Feste wie Geburtstag, Hochzeit, Taufe, Erstkommunion oder Konfirmation, aber auch Feiertage wie der Jahresbeginn und eben Weihnachten.Schon im 18. Jahrhundert war es üblich, dass Kinder Glückwünsche zum neuen Jahr in handschriftlicher Form an die Eltern übergaben – ein Brauch, der fast ausschließlich in den protestantisch geprägten Regionen Nord- und Mitteldeutschlands verbreitet war. Zwei sehr bemerkenswerte Zeugnisse dafür befinden sich in der Dokumentensammlung des Stadtmuseums Berlin: So widmet der kleine Heinrich Wilhelm Ziethen „beym 1802ten Jahreswechsel“ seinen „verehrungswürdigen Eltern […] hochachtungsvoll und dankbar“ nicht nur ein deutsches Dankesgedicht, sondern ein weiteres in französischer Sprache.
Noch ehrgeiziger geht rund dreißig Jahre später Wilhelm Müller ans Werk, wie die unten stehende Abbildung zeigt: Er überreichte seiner Frau Mama eine zehnseitiges Heft mit den „Worten des Herzens der theuern Mutter beim Anfange des Jahres 1831“. Darin enthalten ist ein zweiseitiges deutschsprachiges Gedicht zum neuen Jahr und dazu noch ein französisches – beide formvollendet niedergeschrieben und geschmackvoll illustriert – sowie ein dreiseitiger deutschsprachiger und ein einseitiger französischsprachiger Prosatext an die „innigst geliebte Mutter“.
Wünsche im Wandel
Parallel dazu gibt es auch Glückwunschbriefe, auf denen die Wünsche zum neuen Jahr mit Weihnachtswünschen kombiniert, aber bereits am 24. Dezember übergeben wurden. Dieser Umstand erklärt sich aus dem Wandel des Weihnachtsfestes. War es über die Jahrhunderte hinweg ein eher kirchliches Fest, so wandelte es sich mit dem Entstehen der Kleinfamilie und der starken Aufwertung des Kindes im frühen 19. Jahrhundert zu einer Mischung aus „Kinderbescherfest“ (Roland Wohlfart in seinem Buch Der braven Kinder Weihnachtswünsche) und einer Art Leistungsschau der Kinder.
Damit wurde der Heilige Abend im Kreise der Familie zum eigentlichen Höhepunkt des Jahres, bei dem der Weihnachtswunschbrief eine zentrale Rolle spielte: Er war Zeichen von kindlichem Dank, Fleiß und Bemühen und enthielt zugleich das Versprechen, auch im kommenden Jahr brav und folgsam zu sein. Gab es Weihnachtswunschbriefe zunächst wohl nur im (groß-)bürgerlichen Milieu, so fanden sie über bildungsbürgerliche Kreise ab den 1870er Jahren Einzug in fast alle gesellschaftlichen Schichten.
- Eingeleitet wurde das Fest durch das gemeinsame Schmücken des Weihnachtsbaumes am Nachmittag.
- Hieran schloss sich eine Mahlzeit an, die je nach Region, familiärer Tradition und sozialer Stellung recht unterschiedlich ausfallen konnte.
- Nach weiteren „Vorbereitungen“, die Kinder und Eltern unabhängig voneinander ausführten, war es endlich soweit: Auf Geheiß der Eltern durften die Kinder das Weihnachtszimmer betreten.
- Zuerst sang man gemeinschaftlich Weihnachtslieder, woran sich eine Lesung aus dem Weihnachtsevangelium anschloss.
- Nun kam der Höhepunkt des Festes, eingeleitet durch die Übergabe des Weihnachtswunschbriefes an die Eltern und begleitet durch den freien Vortrag des darin aufgeschriebenen Gedichtes.
In vielen literarischen Zeugnissen dieses Zeremoniells ist noch heute die Anspannung der Kinder zwischen konzentriertem Vortrag und dem sehnsüchtigen Blick zum Gabentisch spürbar. Denn die Geschenke erhielt das Kind selbstverständlich erst danach.
Die hohe Kunst der frühen Briefe
Weihnachtswunschbriefe sind in ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung sehr vielschichtig. Sie sind Zeugnisse eines vergessenen Brauchtums, zeigen das sich wandelnde Verständnis von der angemessenen Gestaltung eines Glückwunschbriefes und sie dokumentieren, was es in früheren Jahrhunderten bedeutete, Kind zu sein.
Sicher und gekonnt sind die zierlichen Buchstaben gesetzt, und auch der knifflige Zeilenausschuss, also die Länge der einzelnen Zeilen, überzeugt. Zudem wollte Ernst dadurch beeindrucken, dass er die einzelnen Strophen abwechselnd in deutscher Kurrentschrift und in lateinischen Buchstaben schrieb. Das Lob der Eltern dürfte ihm sicher gewesen sein. Aber es gab auch ganz andere, weit weniger aufwendige Weihnachtswunschbriefe – universell einsetzbare Glückwunschbogen mit fertig aufgedruckten Wunschformeln, bei denen nur der eigene Name zu ergänzen war.
Der Wunschbrief wird zum Industrieprodukt
Im letzten Drittel des 19. Jahrhundert begann die industrielle Massenproduktion von Weihnachtswunschbogen. Denn im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung war es nunmehr technisch möglich, mehr oder weniger prächtige Druckerzeugnisse billig herzustellen. So entwickelte sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine regelrechte Flut von Schmuckbriefbogen mit Weihnachtsmotiven, deren Komposition und Bildinhalt den Betrachter:innen manchmal Rätsel aufgaben.
Literarisch überliefert ist der Brauch, dass Kinder den Schmuckbogen in der Vorweihnachtszeit zusammen mit ihren Eltern auswählten und kauften. Andere Quellen sprechen davon, dass Pfarrer und Schullehrer:innen ein Sortiment anboten, aus dem die Kinder wählen konnten. Die Preise waren von der Qualität abhängig, im Allgemeinen aber relativ günstig, so dass auch Kinder aus kleinbürgerlichen Schichten mit dem Geld von ihren Eltern einen derartigen Bogen kaufen konnten.
Die Rolle der Schule
Bei den Weihnachtswunschbriefen legten die Eltern viel Wert auf den Text, wenn auch weniger im Hinblick auf dessen Originalität. Die darin zu lesenden Gedichte und Lieder sind konventionell. Es handelt sich meist um beliebte Weihnachtsgedichte wie „Alle Jahre wieder“, „Vom Himmel schwebt hernieder“, „Lobsinget und jauchzet heut Christus, dem Herrn“ oder das um die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr populäre Gedicht „Du lieber, frommer, heil’ger Christ“, eine Dichtung des Schriftstellers und Historikers Ernst Moritz Arndt. Alle diese Gedichte erschienen ab den 1830er Jahren in gedruckter Form, entweder in Fibeln oder als spezielle anlassgebundene Gedichtbände. Überliefert ist aber auch, dass Pfarrer und Schullehrer:innen den Kindern Eigendichtungen vorlegten, um den zur Verfügung stehenden Kanon zu erweitern.
Im Vordergrund stand das formgetreue Kopieren von Buchstaben(-folgen) und geometrischen Formen. Ziel war es, eine leserliche und flüssige Handschrift zu erlernen. Dabei galt es, den Tücken des Schreibens mit der schwer zu handhabenden Feder zu begegnen. Dass ein sauberes, exaktes Arbeiten (ohne Tintenkleckse!) auch eine „korrekte“ Körperhaltung erforderte, war ein willkommener Nebeneffekt des Schönschreibunterrichts. Das alles konnte nur durch viel Übung gelingen, so dass der Brauch des Weihnachtswunschbriefes einen willkommenen Anlass zu zusätzlicher Übung bot.
Das Schriftbild musste exakt und gleichmäßig sein, Kleckse und Schmierereien durften keinesfalls passieren und – vielleicht die schwierigste Herausforderung – die Verse mussten in voller Länge auf die begrenzte Breite des Papieres passen. Gerade hier lagen die Fallstricke, wie man deutlich bei den links abgebildeten Texten aus der Feder von Maria Grunewald sehen kann. Nur das Wort „schwebt“ ein wenig zu gespreizt geschrieben, und schon reicht der Platz für das letzte Wort der Zeile nicht aus. Auch drei Jahre später kämpft Marie noch mit demselben Problem, wie ihr 1897 geschriebener Text zeigt.
Wer schrieb die Wunschbriefe?
Was aber wissen wir über das Alter und die soziale Herkunft der Kinder, von denen die Weihnachtswunschbriefe stammten? Beides ist nicht leicht zu beantworten. Zwar ist bekannt, dass die Kinder meist zwischen sieben und zwölf Jahre alt waren, aber genaue Angaben fehlen meist. Bei den hier vorgestellten Weihnachtswunschbriefen lässt sich lediglich das Alter von Maria Grunewald genau bestimmen. Als sie die beiden in der Dokumentensammlung erhaltenen Briefe schrieb, war sie sieben bzw. zehn Jahre alt. Welcher sozialen Schicht sie angehörte, ist nicht bekannt.
Zumindest näherungsweise lässt sich das im Falle von Maria Philippi sagen, der Schreiberin des zuletzt gezeigten Textes, da sich in der Dokumentensammlung des Stadtmuseums Berlin weitere, dem Weihnachtswunschbrief zugehörige Schriftstücke befinden. Maria dürfte etwa zehn alt gewesen sein, als sie ihren Text wohl 1837 schrieb. Sie wohnte in Potsdam in der Französischen Str. 9 und war die Tochter des Geheimen Registrators Philippi aus bürgerlichem Hause.
Schlussbemerkung
Bei den gezeigten Weihnachtswunschbriefen stellt sich aus heutiger Sicht die Frage, welchem Zweck sie wirklich dienten. Waren sie einfach Ausdruck des kindlich-naiven Wunsches, Freude zu bereiten und Dankbarkeit zu zeigen? Sind sie Zeugnisse jener sogenannten schwarzen Pädagogik, die das Ziel hatte, durch autoritäre Erziehungsmethoden familiär-patriarchalische Strukturen zu zementieren? Oder waren die Weihnachtswunschbriefe eine – wie der Kunsthistoriker Torkild Hinrichsen meint – „erzieherische Leistungsschau am Jahresende – mit schwülstigen Dankesworten an die Eltern, die dann auch noch auswendig vorgetragen werden mußten“? Am Ende sind sie wohl von alledem ein wenig.