Die Gründung des Märkischen Provinzialmuseums
von Andreas Bernhard
1. Ein neues Rathaus für Berlin
Wie in früheren Jahrhunderten und auch heute, ist Berlin im 19. Jahrhundert eine Einwanderungsstadt: Aufgrund der Reformen des preußischen Staates ab 1807 kommen nach den Napoleonischen Kriegen immer mehr Menschen hierher. Die Bevölkerungszahl steigt schnell – von rund 200.000 Menschen im Jahr 1815 auf rund 550.000 im Jahr 1860. Verwaltet wird Berlin noch immer im mittelalterlichen Rathaus, das den gestiegenen Anforderungen nicht mehr genügt. Da es zudem inzwischen baufällig ist, wird 1859 ein Neubau beschlossen. Nach langen Vorplanungen entwirft der Architekt Hermann Friedrich Waesemann das Gebäude. Es wird das erste von vielen monumentalen Rathausgebäuden werden, die im 19. Jahrhundert in Europa entstehen. Wegen seiner Ziegelfassaden wird man es bald das „Rote Rathaus“ nennen.
Ob das Märkische Provinzialmuseum diesem Anspruch gerecht wird, muss aus heutiger Perspektive kritisch betrachtet werden: Zum einen ist seine Rechtsform die der Magistrats-Körperschaft (und nicht etwa eines Vereins). Zum anderen ist die Vorstellung davon, wer sich seine:ihre Geschichte als Bürger:in der Stadt im Museum bewahren und erzählen können sollte, sehr eigeschränkt: So finden sich unter den Akteuren im Museum keine Frauen; ob und wie migrierte Menschen oder nicht-bürgerliche Schichten Raum im „Bürgermuseum“ haben sollten, gilt es noch zu erforschen – es ist allerdings eher zu bezweifeln.
Friedel gliedert die Sammlung des Museums in drei Hauptbereiche. Bereich „A“: Naturgeschichte mit Geologie, Botanik und Zoologie. Bereich „B“: Kulturgeschichte mit den zwei Haupt-Epochen „Vorgeschichte“ und „Geschichtliche Zeit“. Bereich „C“: Beiträge zur vergleichenden Natur- und Kulturgeschichte aus nichtmärkischen Gebieten – also aus Regionen, die nicht zu Brandenburg gehören. Dieser Bereich wird jedoch nicht konsequent aufgebaut werden.
Sein Vorbild wirkt. Im nächsten Verwaltungsbericht werden zu den eingegangenen Schenkungen beeindruckende Zahlen veröffentlicht: Als das Museum ein Jahr später ins Palais Podewils in der Klosterstraße umzieht, sind es schon etwa 20.000 Inventar-Einheiten. Diese hohe Zahl täuscht jedoch über die geringe Qualität der Schenkungen hinweg: Es sind überwiegend Scherben und sonstige Fragmente historischer Objekte, die für die Sammlung nicht als besonders wertvoll erachtet werden und später über die Sammlungsgeschichte hinaus keine Ansätze zur Forschung bieten werden.
2. Frühe Sammlungsgeschichte
Der Sammlungsbereich Naturgeschichte umfasst schon früh zahlreiche Objekte. Fossilien bilden den Grundstock der zoologischen Sammlung, für die Sammlungen zur Zoologie und Botanik werden aus Mitteln des Magistrats vielfältig Präparate und Modelle angefertigt, auch die geologische Sammlung ist umfangreich. Doch den kulturgeschichtlichen Objekten, die das Museum über Schenkungen und Ausgrabungen erhält, fehlt es an Vielfalt. Deshalb sammelt Friedel selbst aktiv für das Museum.Friedels Haupt-Sammelgebiet ist die vorindustrielle Alltagskultur Berlins und seiner Umgebung, die Ende des 19. Jahrhunderts langsam verschwindet – und mit ihr ihre dinglichen Zeugnisse. Es handelt sich zum Beispiel um Fischeimer, Gewichte zum Versenken von Fischernetzen, Kohlebügeleisen, Mangelbretter, spezielle Scheren zum Kürzen von Kerzendochten, Zinngeschirr sowie um Tonflaschen und andere keramische Produkte. Vieles erhält Friedel kostenlos, was sehr wichtig ist, denn Geld für Ankäufe hat das Museum nach wie vor nicht. Friedel besucht auch viele Kunst-Auktionen, kann dort auf eigene Kosten aber nur Kleinigkeiten und einige Möbelstücke erwerben, allesamt sehr preisgünstig, die grundsätzlich mit dem Zusatz „defect“ ins Inventar eingetragen werden.
Engagiert zeigt sich Friedel beim Aufbau einer Sammlung zur „Rechtspflege“ – ein beschönigender Begriff, hinter dem sich Folter- und Hinrichtungsgegenstände verbergen. Mit der Sammlung reagiert Friedel auf eine aktuelle Entwicklung, denn die früher öffentlich stattfindenden, volksfestartigen Hinrichtungen werden im 19. Jahrhundert zunehmend in abgeschlossene Gefängnisräume verlagert. So sollen die gesammelten Gegenstände offenbar an eine zu Ende gehende, Jahrhunderte alte Tradition erinnern.
3. Cöllnisches Rathaus und „Rumpelkammer-Kritik“
Der Berliner Magistrat widmet dem Märkischen Provinzialmuseum keine besondere Aufmerksamkeit. Lange bleibt es ohne dauerhaften Standort. 1880 muss es das Palais Podewils räumen und erhält dafür Teile des Cöllnischen Rathauses am Petriplatz. Dessen Abriss ist jedoch bereits beschlossen, da es an der Einmündung der Breiten Straße in die Gertraudenstraße den zunehmenden Straßenverkehr behindert. Für die mittlerweile 40.000 Inventar-Einheiten werden zunächst 420 Quadratmeter zur Verfügung gestellt. Entsprechend gedrängt muss das Sammlungsgut präsentiert werden: Alles wird ausgestellt, sodass der Eindruck eines überladenen Schaudepots entsteht. Nach und nach können zwar viele weitere Räume des Cöllnischen Rathauses vom Museum genutzt werden, später sogar fast das ganze Gebäude. Dennoch bleibt es eng, denn bis zur Jahrhundertwende wächst die Sammlung auf 85.000 Inventar-Einheiten an.Fotografische Aufnahmen aus dem Cöllnischen Rathaus von 1890 zeigen eindrucksvoll die Enge in dem provisorischen Museum. Die Sammlung wird darin als Schaudepot präsentiert, in dem die Objekte nach Sachgruppen sortiert ausgestellt sind. Dabei wird nicht nach Qualität unterschieden und der Blick der Besucher:innen nicht gelenkt.
Das erste gedruckte Teil-Inventar
Wichtige Forschungsquelle
1890 legt Kustos Rudolf Buchholz ein erstes gedrucktes Teil-Inventar der Sammlung vor. Es ist dem Zeitraum „von der ältesten Zeit bis zum Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen“ gewidmet. Es handelt sich um eine von Buchholz getroffene Auswahl von den bedeutendsten der 65.000 existierenden Inventar-Einheiten. In kurzen Texten werden die Objekte charakterisiert, 248 erhalten kleine Kupferstich-Abbildungen. Somit kann man erstmals auch außerhalb Berlins die Sammlung des Museums präsentieren. Für die heutige Forschung ist dieses Büchlein die wichtigste Quelle dafür, was man 1890 als besonders wertvoll ansah.
Diese als Verein organisierte Gesellschaft rekrutiert ihre Mitglieder weitgehend aus den Pflegschaftlern für Bau- und Bodendenkmalpflege, wodurch Wissenschaftlichkeit gewährleistet wird. Da hier allein die Arbeitseffektivität im Vordergrund steht, ist die „Brandenburgia“ eine der ganz wenigen Institutionen der Kaiserzeit, in der Frauen gleichberechtigt Mitglied werden können. Bis zur Auflösung im Nationalsozialismus bleibt sie für Berlin eine für die Archäologie und Geschichtswissenschaft sehr wichtige Einrichtung.
In der Wettbewerbs-Ausschreibung wird eine Ausrichtung des Neubaus auf die Waisenbrücke gefordert. Umfassen soll es drei Geschosse auf einem Keller, bis zu 2.500 Quadratmeter Nutzfläche und einen zentralen Lichthof, wie er seit Eröffnung des Kunstgewerbemuseums 1881 (dem späteren Martin-Gropius-Bau) in Mode ist. Entscheidend ist in der Ausschreibung, dass der Neubau nicht mehr als eine Million Mark kosten darf, worüber sich die meisten Architekten jedoch wenig Gedanken machen werden.
Der Wettbewerb
Viele Entwürfe, kein Resultat
Die hohe Zahl von 76 eingegangenen Wettbewerbs-Entwürfen belegt das große Interesse an der Ausschreibung. Allerdings kann kein Entwurf die Jury überzeugen. Wettbewerbssieger Wilhelm Möller kommt deren Vorstellungen allenfalls am nächsten. Bei näherer Begutachtung stellt man außerdem fest, dass der Bau mehr als doppelt so viel kosten würde wie vorgesehen. Als Möller wenige Monate nach dem Wettbewerb stirbt, verschwinden seine Pläne in der Schublade. Der Neubau des Museums wird verschoben, bis die Stadt einen neuen Baustadtrat bekommt, denn dem amtierenden, erfahrenen alten Baustadtrat Hermann Blankenstein traut die Stadtverwaltung einen zeitgemäßen Museumsbau nicht zu.
Auch wenn das Wort gar nicht fällt, so geht diese Bewertung als „Rumpelkammer-Kritik“ in die Berliner Museumsgeschichte ein. Damit hat das Märkische Provinzialmuseum – und mit ihm die Stadt Berlin – in kultureller Hinsicht ein Image-Problem, gegen das es noch lange anzukämpfen gilt. Andererseits bringt das Jahr 1896 dem Museum auch Glück. Ein neuer Baustadtrat tritt sein Amt an, und seine erste Bauaufgabe soll der Museumsneubau sein. Sein Name ist Ludwig Hoffmann.
Fortsetzung folgt
Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack