Die Gründung des Märkischen Provinzialmuseums

Der 9. Oktober 1874 gilt heute als Gründungsdatum des Märkischen Provinzialmuseums. An diesem Tag stimmte der Berliner Magistrat über den Entwurf für ein Museum ab. Dieser von Stadtrat Ernst Friedel vorgelegte Entwurf war zunächst vor allem ein Sammlungskonzept. Auf das Museumsgebäude sollte man noch über 30 Jahre warten.
Das alte Berliner Rathaus, nach 1855
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: Leopold Ahrendts

von Andreas Bernhard

1. Ein neues Rathaus für Berlin

Wie in früheren Jahrhunderten und auch heute, ist Berlin im 19. Jahrhundert eine Einwanderungsstadt: Aufgrund der Reformen des preußischen Staates ab 1807 kommen nach den Napoleonischen Kriegen immer mehr Menschen hierher. Die Bevölkerungszahl steigt schnell – von rund 200.000 Menschen im Jahr 1815 auf rund 550.000 im Jahr 1860. Verwaltet wird Berlin noch immer im mittelalterlichen Rathaus, das den gestiegenen Anforderungen nicht mehr genügt. Da es zudem inzwischen baufällig ist, wird 1859 ein Neubau beschlossen. Nach langen Vorplanungen entwirft der Architekt Hermann Friedrich Waesemann das Gebäude. Es wird das erste von vielen monumentalen Rathausgebäuden werden, die im 19. Jahrhundert  in Europa entstehen. Wegen seiner Ziegelfassaden wird man es bald das „Rote Rathaus“ nennen.

Das neue Berliner Rathaus („Rotes Rathaus“), vor 1869
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt
Da der Altbau aber zunächst weiter betrieben werden muss, entsteht der erste Bauabschnitt des Neubaus südlich davon. 1865 ist der erste Bauabschnitt bezugsfertig. Beim Ausräumen des Altbaus werden viele vergessene historische Gegenstände und Kunstwerke entdeckt, die auf Dachböden und in verborgenen Winkeln lagern. Im Archiv des Magistrats, der seit dem Mittelalter die Stadt verwaltet, ist für diese teils sehr wertvollen, manchmal größeren Objekte kein Platz. Daher beschließen Magistratsangehörige, eine neue Abteilung „Sammlungen“ zu gründen. Sie verwahrt nun historische Objekte wie Amtsketten, Ölgemälde, Prunkgefäße und die alte Rathausglocke.
1872 wird der erst 35-jährige Köpenicker Kreisrichter Ernst Friedel zum besoldeten Berliner Stadtrat berufen. Sein offizieller Titel ist „Commissarius für Archiv, Bibliothek und Sammlungen“. Friedel ist historisch sehr interessiert. Während seiner Zeit in Köpenick hat er archäologische Ausgrabungen vorgenommen und besitzt eine große Privatsammlung von archäologischen Funden. Er ist auch Mitglied des 1865 gegründeten „Vereins für die Geschichte Berlins“ und der „Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“, an deren Gründung 1869 der Arzt und Politiker Rudolf Virchow maßgeblich mitbeteiligt war. Friedels Beziehungsgeflecht wird seit 2024 erforscht – wie auch seine Rolle im deutschen Kolonialismus, denn Friedel zählte hierzulande zu den ersten, die in dieser Zeit den Erwerb von Übersee-Gebieten befürworteten und öffentlichkeitswirksam vorantrieben.
Ernst Friedel, 1876
© Fotoarchiv des Vereins für die Geschichte Berlins – Alben der Mitglieder | Foto: Hermann Noack
Rudolf Virchow, 1891
Hans Fechner creator QS:P170,Q1576415, Rudolf Virchow, 1891, by Hanns Fechner, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Im März 1874 ordnen die preußischen Ministerien für Handel, Finanzen, Kultus und Landwirtschaft an, dass die preußischen Stadtverwaltungen ihre historischen Sammlungen erhalten, vermehren und im Interesse der „Volksbildung“ nutzbar machen: Das städtische Bewusstsein im jungen Nationalstaat soll gestärkt werden. Berlin will mit gutem Beispiel vorangehen. So erhält Stadtrat Ernst Friedel im August den Auftrag, ein Museum zu entwerfen. Friedel scheint sich schon vorher entsprechende Gedanken gemacht zu haben, denn nur sechs Wochen später legt er seinen Entwurf vor.
Was er vorschlägt, gefällt dem Magistrat: Am 9. Oktober 1874 wird der Entwurf in der Stadtverordnetenversammlung zur Abstimmung vorgelegt und mehrheitlich angenommen. Seither gilt dieser Tag als Gründungsdatum des „Märkischen Provinzialmuseums“. Ironie der Geschichte: Schon 1875 scheidet Berlin aus dem Provinzialverband mit der Mark Brandenburg aus. Der Anspruch eines „märkischen“ Museums bleibt zwar auch danach bestehen, tatsächlich aber ist es allein eine Körperschaft des Berliner Magistrats. Unter den Berliner Kultur-Einrichtungen ist das neue Museum somit ein Sonderfall, denn alle übrigen drei Berliner Museen befinden sich in königlicher Trägerschaft. Zu dieser Zeit existieren nur das 1830 eröffnete (Alte) Museum am Lustgarten, die 1831 eröffnete Waffen- und Modellsammlung im Zeughaus und das 1859 eröffnete Neue Museum. Die Nationalgalerie ist noch Bau und wird erst 1876 eröffnet werden.
Die Museumsinsel mit Königlichem Museum, 1881
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: Hermann Rückwardt
Rudolf Buchholz an seinem Schreibtisch, 1899
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: Georg Bartels
Nach Friedels Plan hat das Museum keinen Direktor (eine Frau in dieser Position wäre zu dieser Zeit ohnehin nicht denkbar gewesen), sondern ein Direktorium aus Magistratsmitgliedern und Stadtverordneten sowie einen neunköpfigen wissenschaftlichen Beirat. Es gibt nur einen einzigen Angestellten, den Sachbearbeiter (Kustos) Rudolf Buchholz. Geld zum Kauf von Museumsobjekten ist nicht vorgesehen: Friedel glaubt, durch Schenkungen würde sich die Bevölkerung dem Museum näher verbunden fühlen. Dies beruht auf der Idee eines von Gemeinschaftssinn getragenen „Bürgermuseums“, in dem Menschen ihre eigene, bürgerliche Geschichte bewahren – in Abgrenzung zur Geschichte der adeligen Eliten, die in zuvor bestehenden fürstlichen Sammlungen tradiert wurde.

Ob das Märkische Provinzialmuseum diesem Anspruch gerecht wird, muss aus heutiger Perspektive kritisch betrachtet werden: Zum einen ist seine Rechtsform die der Magistrats-Körperschaft (und nicht etwa eines Vereins). Zum anderen ist die Vorstellung davon, wer sich seine:ihre Geschichte als Bürger:in der Stadt im Museum bewahren und erzählen können sollte, sehr eigeschränkt: So finden sich unter den Akteuren im Museum keine Frauen; ob und wie migrierte Menschen oder nicht-bürgerliche Schichten Raum im „Bürgermuseum“ haben sollten, gilt es noch zu erforschen – es ist allerdings eher zu bezweifeln.
Bei der Entwicklung der Sammlungsstruktur hat Friedel kaum Vorbilder, da Regionalmuseen erst im Entstehen begriffen sind. Fürstliche Museen haben den Anspruch Herrschaftsgeschichte zu präsentieren und zeigen deshalb vor allem Waffen und Kunst. Um die Berliner Landesgeschichte sammelnd zu bewahren, sollen Naturgeschichte und Kulturgeschichte gleichwertig gesammelt und ausgestellt werden.

Friedel gliedert die Sammlung des Museums in drei Hauptbereiche. Bereich „A“: Naturgeschichte mit Geologie, Botanik und Zoologie. Bereich „B“: Kulturgeschichte mit den zwei Haupt-Epochen „Vorgeschichte“ und „Geschichtliche Zeit“. Bereich „C“: Beiträge zur vergleichenden Natur- und Kulturgeschichte aus nichtmärkischen Gebieten – also aus Regionen, die nicht zu Brandenburg gehören. Dieser Bereich wird jedoch nicht konsequent aufgebaut werden.
Einband Inventar IV, 1874
© Stadtmuseum Berlin
Die Sammlung des Museums wird – wie die Bibliothek und das Archiv – im 1869 fertiggestellten Roten Rathaus untergebracht. 1875 ruft die Stadtverwaltung im Namen des Museums öffentlich dazu auf, dem Museum „museumswürdige“ Objekte zu stiften. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, übergibt Friedel seine private Sammlung archäologischer Objekte dem Museum.

Sein Vorbild wirkt. Im nächsten Verwaltungsbericht werden zu den eingegangenen Schenkungen beeindruckende Zahlen veröffentlicht: Als das Museum ein Jahr später ins Palais Podewils in der Klosterstraße umzieht, sind es schon etwa 20.000 Inventar-Einheiten. Diese hohe Zahl täuscht jedoch über die geringe Qualität der Schenkungen hinweg: Es sind überwiegend Scherben und sonstige Fragmente historischer Objekte, die für die Sammlung nicht als besonders wertvoll erachtet werden und später über die Sammlungsgeschichte hinaus keine Ansätze zur Forschung bieten werden.
Palais Podewils, um 1875, aus der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Märkischen Provinzialmuseums, Berlin, 1901
Foto: unbekannt
Ernst Friedel (rechts, mit geschulterter Hacke) und Ausgrabungsgruppe der „Brandenburgia“, 1903
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: Atelier R. S.
Das meiste Sammlungsgut gelangt zunächst über Ausgrabungen von Vereinen ans Museum. Es ist Mode, am Sonntag als Herrengesellschaft auf Grabung zu gehen – sowie man früher auf die Jagd ging. „Wenn Virchow ruft mit Macht, buddeln wir auch in der Nacht“, heißt eine beliebte Parole. Die ausgegrabenen Objekte sind entweder Fossilien, wie Mammutknochen oder Urhirsch-Geweihe, oder von Menschen geschaffene Gegenstände, wie Tonscherben oder Steingefäße. Sie werden dem Museum übergeben und dort ausgestellt. Auf den Objekten werden der Fundort sowie der Name einer Person vermerkt, die an dessen Ausgrabung beteiligt war. Somit ist der Ausgräber direkt Teil der Ausstellung des Museums – ein Versuch, dem Anspruch ein „Bürgermuseum“ zu sein gerecht zu werden.

2. Frühe Sammlungsgeschichte

Der Sammlungsbereich Naturgeschichte umfasst schon früh zahlreiche Objekte. Fossilien bilden den Grundstock der zoologischen Sammlung, für die Sammlungen zur Zoologie und Botanik werden aus Mitteln des Magistrats vielfältig Präparate und Modelle angefertigt, auch die geologische Sammlung ist umfangreich. Doch den kulturgeschichtlichen Objekten, die das Museum über Schenkungen und Ausgrabungen erhält, fehlt es an Vielfalt. Deshalb sammelt Friedel selbst aktiv für das Museum.

Friedels Haupt-Sammelgebiet ist die vorindustrielle Alltagskultur Berlins und seiner Umgebung, die Ende des 19. Jahrhunderts langsam verschwindet – und mit ihr ihre dinglichen Zeugnisse. Es handelt sich zum Beispiel um Fischeimer, Gewichte zum Versenken von Fischernetzen, Kohlebügeleisen, Mangelbretter, spezielle Scheren zum Kürzen von Kerzendochten, Zinngeschirr sowie um Tonflaschen und andere keramische Produkte. Vieles erhält Friedel kostenlos, was sehr wichtig ist, denn Geld für Ankäufe hat das Museum nach wie vor nicht. Friedel besucht auch viele Kunst-Auktionen, kann dort auf eigene Kosten aber nur Kleinigkeiten und einige Möbelstücke erwerben, allesamt sehr preisgünstig, die grundsätzlich mit dem Zusatz „defect“ ins Inventar eingetragen werden.
Fossilien der Sammlung des Märkischen Provinzialmuseums, 1890
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Georg Bartels
Ein weiterer Bereich der kulturgeschichtlichen Sammlung wird die kirchliche Kunst. Viele Kirchengemeinden im Berliner Umland und später auch in Brandenburg statten sich nach dem wirtschaftlichen Aufschwung in Folge des gewonnenen Krieges 1870/71 und den dadurch steigenden Kirchensteuer-Einnahmen neu aus. Infolgedessen erhält Friedel für das Museum viele alte Objekte als Leihgabe oder als Schenkung, darunter nahezu alle Gattungen kirchlicher Kunst. Zahlreiche Ritualgegenstände bilden bald eine eindrucksvolle Sammlungsgruppe, die zugleich den provinziellen Charakter der Brandenburger Kunstlandschaft im Mittelalter und der frühen Neuzeit widerspiegelt.
Madonna aus der Nikolaikirche Spandau, um 1290
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Matthias Holfeld
Flügelaltar aus Coritten (heute Koryta, Polen), 1516
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Peter Knüvener
Objekte der „Strafrechtspflege“ im Cöllnischen Rathaus, 1890
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Georg Bartels
Eher bescheiden bleibt die Sammlung von Waffen und Rüstungen. Hier zeigt sich die Abgrenzung des Museums als Regionalmuseum von den Landesmuseen und fürstlichen Sammlungen, in denen diese Objektgruppe höchsten Stellenwert genießt. Außerdem gibt es im nahegelegenen Zeughaus schon eine große Sammlung von Kriegsgeräten.

Engagiert zeigt sich Friedel beim Aufbau einer Sammlung zur „Rechtspflege“ – ein beschönigender Begriff, hinter dem sich Folter- und Hinrichtungsgegenstände verbergen. Mit der Sammlung reagiert Friedel auf eine aktuelle Entwicklung, denn die früher öffentlich stattfindenden, volksfestartigen Hinrichtungen werden im 19. Jahrhundert zunehmend in abgeschlossene Gefängnisräume verlagert. So sollen die gesammelten Gegenstände offenbar an eine zu Ende gehende, Jahrhunderte alte Tradition erinnern.
Gemälde sammelt das Museum bezeichnenderweise nicht. Einige gelangen als Schenkungen trotzdem in die Sammlung. So übergibt die Familie Hohenzollern, der auch der regierende Kaiser Wilhelm I. angehört, 1880 vier wertvolle Biedermeier-Gemälde an das Museum. 1886 zeigt dieses probeweise eine Ausstellung – wo sie stattfand, ist nach aktuellem Forschungsstand noch nicht zu benennen. Für die Ausstellung werden viele Gemälde mit Stadtansichten eingeliehen. Aufgrund des Zeitgeschmacks empfinden jedoch weder das Publikum noch die Museumsmitarbeiter:innen solche Stadtansichten als attraktiv. Für die Anfertigung von Stadtbild-Fotografien hingegen stellt die Stadtverwaltung dem Museum noch im selben Jahr einen jährlichen Betrag von 1.500 Mark zur Verfügung – eine große Summe. Dadurch entwickelt sich sehr früh eine bedeutende Foto-Sammlung. Bis zum Ersten Weltkrieg bleibt der jährliche Betrag die einzige regelmäßige Geldquelle des Museums für Ankäufe.
Die Nikolaikirche, Gemälde von Johann Heinrich Hintze, 1827. Eines der vier 1880 von den Hohenzollern geschenkten Gemälde.
© Stadtmuseum Berlin
Ältestes erhaltenes Foto der Stadtbildfotografie des Märkischen Provinzialmuseums: Gebäude der Alten Münze am Werderschen Markt, 1886
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: F. Albert Schwartz
Sehr umfänglich sammelt Friedel gedruckte Grafiken für das Museum. Das dafür nötige Geld stellt der Berliner Magistrat zur Verfügung. Friedel möchte anscheinend möglichst viele Kupferstiche und Flachdrucke (Lithografien) zu Ereignissen und Personen der brandenburgischen Landesgeschichte sammeln, um bei kleinen Ausstellungen zu den gezeigten „volkstümlichen“ Objekten auch deren geschichtlichen Hintergrund illustrieren zu können. Diese Drucke werden nicht als Kunstwerke betrachtet, sondern als Illustrationen, denn Foto-Reproduktionen sind noch nicht verbreitet.
Dass es keinen regulären Etat für Sammlungsankäufe gibt, rächt sich bisweilen: 1899 haben private Ausgräber die Grabkammer des „Fürstengrabes“ von Seddin in der Priegnitz (heute Prignitz) geöffnet und dort reiche Funde entdeckt. Sie melden ordnungsgemäß den Fund, und der Gebietsdenkmalpfleger Heinemann sendet am 16. September 1899 ein Telegramm an Friedel: „Heute in Seddin Hühnengrab, volksthümlich Kaisergrab genannt, aufgedeckt. Sehr inhaltreich an Urnen und Bronzegefäßen. Könnt Ihr morgen kommen. Dr. Heinemann“. Da sogleich auch andere Museen Begehrlichkeiten melden, muss Friedel die von den Ausgräbern geforderte Kaufsumme von 120 Mark aus seinem Privatvermögen vorstrecken. Damit gelangt der bedeutendste archäologische Fundkomplex der jüngeren Bronzezeit in Norddeutschland ans Märkische Provinzialmuseum.
Urnen und weitere Gefäße aus dem Fürstengrab von Seddin, ca. 800 v.u.Z.
© Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum | Foto: Detlef Sommer
Cöllnisches Rathaus als Märkisches Provinzialmuseum, 1887
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Georg Bartels

3. Cöllnisches Rathaus und „Rumpelkammer-Kritik“

Der Berliner Magistrat widmet dem Märkischen Provinzialmuseum keine besondere Aufmerksamkeit. Lange bleibt es ohne dauerhaften Standort. 1880 muss es das Palais Podewils räumen und erhält dafür Teile des Cöllnischen Rathauses am Petriplatz. Dessen Abriss ist jedoch bereits beschlossen, da es an der Einmündung der Breiten Straße in die Gertraudenstraße den zunehmenden Straßenverkehr behindert. Für die mittlerweile 40.000 Inventar-Einheiten werden zunächst 420 Quadratmeter zur Verfügung gestellt. Entsprechend gedrängt muss das Sammlungsgut präsentiert werden: Alles wird ausgestellt, sodass der Eindruck eines überladenen Schaudepots entsteht. Nach und nach können zwar viele weitere Räume des Cöllnischen Rathauses vom Museum genutzt werden, später sogar fast das ganze Gebäude. Dennoch bleibt es eng, denn bis zur Jahrhundertwende wächst die Sammlung auf 85.000 Inventar-Einheiten an.
Besonders fällt dies bei der „Spandauer Madonna“ auf – einem monumentalen Marien-Standbild der Spät-Romanik aus der Spandauer Nikolaikirche, geschaffen von der Magdeburger Dombauhütte. Zu Friedels Zeiten ist sie das kostbarste Objekt der Sammlung. Aber auf dem Foto ist sie kaum zu erkennen, da sie von anderen Skulpturen umstellt und die Wand hinter ihr mit Kunst geradezu „tapeziert“ ist. Eindrucksvoll ist auch die Präsentation von Fossilien und archäologischen Objekten, die flächendeckend an den Wänden präsentiert werden und die Ausstellungsvitrinen zu sprengen scheinen.
Kulturhistorische Abteilung im Cöllnischen Rathaus mit „Spandauer Madonna“ (zweite Skulptur von rechts), 1890.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Georg Bartels
Ab 1886 baut Friedel das Pflegschaftswesen für Bau- und Bodendenkmale in Berlin und Brandenburg auf. Damit institutionalisiert sich diesbezüglich das Museum und verliert zunehmend seine Verbindungen zum „Verein für die Geschichte Berlins“. Das Vereinsleben aber nimmt in den 1880er Jahren stetig zu und wird damit zu einem gesellschaftlichen Faktor Berlins. 1884 wird Friedel Vorsitzender des Vereins und hofft damit, diesen wieder näher zur Wissenschaft führen zu können, womit er aber wenig Erfolg hat. Schließlich stellt er 1891 die Vertrauensfrage, ob man ein Vergnügungsverein oder ein Geschichtsverein sein wolle und scheitert, worauf er den Vorsitz niederlegt. Daher gründet er mit einigen Freunden der Archäologie 1892 die wissenschaftliche Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg („Brandenburgia“) und wird auch zum Vorsitzenden gewählt.
Festsitzung der „Brandenburgia“ im Bürgersaal des Berliner Rathauses am 22. April 1902
Aus: Archiv der „Brandenburgia“, 10. Band, Berlin 1904

Diese als Verein organisierte Gesellschaft rekrutiert ihre Mitglieder weitgehend aus den Pflegschaftlern für Bau- und Bodendenkmalpflege, wodurch Wissenschaftlichkeit gewährleistet wird. Da hier allein die Arbeitseffektivität im Vordergrund steht, ist die „Brandenburgia“ eine der ganz wenigen Institutionen der Kaiserzeit, in der Frauen gleichberechtigt Mitglied werden können. Bis zur Auflösung im Nationalsozialismus bleibt sie für Berlin eine für die Archäologie und Geschichtswissenschaft sehr wichtige Einrichtung.

Da der Abriss des Cöllnischen Rathauses nur eine Frage der Zeit ist, muss für einen endgültigen Museumsstandort gesorgt werden. Nach verschiedenen Vorplanungen wird 1892 der Wettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben. Die Stadtverwaltung hatte sich zuvor auf ein Grundstück an der Waisenbrücke geeinigt, auf dem noch ein kleines Gebäude stand, das zuletzt – wie man in dieser Zeit sagt – als „Irrenanstalt“ genutzt worden war. Das sehr unregelmäßig geformte Grundstück soll neben dem Museumsbau auch eine Grünanlage enthalten.

In der Wettbewerbs-Ausschreibung wird eine Ausrichtung des Neubaus auf die Waisenbrücke gefordert. Umfassen soll es drei Geschosse auf einem Keller, bis zu 2.500 Quadratmeter Nutzfläche und einen zentralen Lichthof, wie er seit Eröffnung des Kunstgewerbemuseums 1881 (dem späteren Martin-Gropius-Bau) in Mode ist. Entscheidend ist in der Ausschreibung, dass der Neubau nicht mehr als eine Million Mark kosten darf, worüber sich die meisten Architekten jedoch wenig Gedanken machen werden.
„Partie am Köllnischen Park“, Gemälde von Wilhelm Peters, 1896. Anstelle des Grabens befindet sich dort heute die Straße Am Köllnischen Park.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Dorin Ionita
Das Jahr 1896 ist ein dunkles Jahr für das Märkische Provinzialmuseum. Wilhelm (später: von) Bode, der Direktor der Königlichen Gemäldegalerie und bald darauf Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin, veröffentlicht eine Kritik an der Institution des Märkischen Provinzialmuseums. Er schreibt darin in herablassender Weise: Die Museumsleitung hätte sich „auf die Zeit und den Standpunkt des alten Berliner Kleinbürgertums zurückgeschraubt“. Sie sammele alles, lasse sich alles schenken, daher sei in mehreren Jahrzehnten das Museum „nur zu einer Kuriositätenkammer der bedenklichsten Art gestaltet“.

Auch wenn das Wort gar nicht fällt, so geht diese Bewertung als „Rumpelkammer-Kritik“ in die Berliner Museumsgeschichte ein. Damit hat das Märkische Provinzialmuseum – und mit ihm die Stadt Berlin – in kultureller Hinsicht ein Image-Problem, gegen das es noch lange anzukämpfen gilt. Andererseits bringt das Jahr 1896 dem Museum auch Glück. Ein neuer Baustadtrat tritt sein Amt an, und seine erste Bauaufgabe soll der Museumsneubau sein. Sein Name ist Ludwig Hoffmann.

Fortsetzung folgt
Wilhelm Bode, 1901
Foto: unbekannt (Loescher & Petsch), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack