Das Jahr 2021 stand im Zeichen von 1700 Jahren jüdischem Leben auf dem heutigen Gebiet Deutschlands. Die erste schriftliche Spur dieser langen Geschichte findet sich auf einem Erlass des römischen Kaisers Konstantin vom 11. Dezember des Jahres 321. Doch zu dieser Geschichte gehört auch und gerade in Berlin die Zeit der Vertreibung und Verfolgung von 1933 bis 1945. Annähernd 85.000 jüdische Berliner:innen konnten sich durch Flucht und Auswanderung retten, etwa 5.000 versuchten im Untergrund zu überleben, was nur etwa 2.000 dieser „Illegalen“ gelang – einigen von ihnen in der Villenkolonie Grunewald, einem Zentrum jüdischen Lebens in Berlin.
Die Villenkolonie Grunewald
Einleitung: Lebendige Geschichte
Fritz Ascher
Episode 1: Überleben im Versteck
In der Lassenstraße 28 erinnert heute nichts mehr an das Versteck des jüdischen Künstlers Fritz Ascher (1893–1970), der im Keller des Vorgängerbaus vom 15. Juni 1942 bis zum 29. April 1945 die nationalsozialistische Verfolgung überlebte.
Episode 2: Die Familie Ascher
Wer war Fritz Ascher? 1893 wird er als ältester Sohn des Zahnarztes Hugo Ascher in Berlin geboren, der eine Praxis am Spittelmarkt betreibt. Er hat zwei jüngere Schwestern: Charlotte und Grete.
Episode 3: Aschers Jugend
Die Familie kommt zu Wohlstand und bezieht 1909 eine vom Architekten Paul Schultze-Naumburg gebaute, repräsentative Villa in der Zehlendorfer Niklasstraße. Sie ist eines der ersten fertiggestellten Anwesen in dem zu dieser Zeit noch unbebauten Viertel. Fritz ist jetzt 16 Jahre alt und will Künstler werden.
Episode 4: Aschers Ausbildung
Von Max Liebermann (1847–1935), einem Mitbegründer der Künstlergruppe Berliner Secession, erhält Fritz Ascher 1909 als Abschluss seiner Studien das begehrte Künstlereinjährige. Mit dieser Empfehlung geht er an die Kunstakademie nach Königsberg (heute Kaliningrad) zu Ludwig Dettmann (1865–1944). Durch diesen Maler, seit 1900 Direktor der Akademie, entdeckt Ascher seine Liebe zur Natur, die seine späteren Werke prägt.
Episode 5: Rückkehr nach Berlin
1913 kommt Fritz Ascher zurück nach Berlin und besucht die Akademie für Malerei, wo er bei Lovis Corinth (1858–1925) lernt. In seinem Elternhaus richtet Ascher sich ein Atelier ein. Er unternimmt eine Studienreise nach Norwegen und trifft in Oslo den von ihm bewunderten Maler Edvard Munch (1863–1944).
Episode 6: Golem
Mitten im Ersten Weltkrieg malt Fritz Ascher 1916 – er ist jetzt 26 Jahre alt – sein zentrales Werk, den „Golem“. Ascher ist fasziniert von der Vielschichtigkeit der Figur aus dem 1913/14 erschienenen Roman und nutzt für deren malerische Interpretation die Bildsprache des Symbolismus, die er mit expressionistischen Elementen untersetzt.
Episode 7: Verfolgt und bespitzelt
Mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland wechselt Fritz Ascher ab 1933 ständig seinen Wohnort. Er fühlt sich verfolgt und bespitzelt. Er isoliert sich, hört für lange Zeit auf zu malen.
Episode 8: KZ und Haft
In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wird er verhaftet und im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen bei Oranienburg interniert. Mit Hilfe eines Freundes wird er zwar aus der KZ-Haft entlassen, kommt jedoch in Potsdam sofort wieder in Polizeiarrest. Was man ihm vorwirft, ist unklar.
Episode 9: Flucht unmöglich
Die geplante Ausreise nach Shanghai (heute Volksrepublik China) wird ihm verboten. Damit ist sein Fluchtweg verbaut. Die Unterdrückungsmaßnahmen werden verstärkt. Ab September 1941 muss Ascher den Judenstern tragen, im so genannten Judenhaus wohnen und sich monatlich im Polizeipräsidium melden. Der psychische Druck wird für ihn unerträglich.
Episode 10: Überleben im Verborgenen
Am 15. Juni 1942 erhält Ascher den Hinweis, dass seine Deportation kurz bevor steht. Er wendet sich an Martha Grassmann (1881–1971), die Mutter seines Freundes Gerhard, die in der Grunewalder Bismarckstraße 26 lebt. Sie versteckt ihn im Keller des Hauses Lassenstraße 28.
Episode 11: Grunewaldkirche
Ab Sommer 1942 verbringt er seine schier endlosen Tage und Stunden nahezu ausschließlich im dunklen Keller der Lassenstr. 28, zu dem nur das Glockengeläut der nahen Grunewaldkirche durchdringt. Er beginnt wieder Gedichte zu schreiben. Noch ahnt er nicht, dass er fast drei Jahre in seinem Versteck ausharren muss.
Episode 12: Befreiung
Im Frühjahr 1945 wird der Grunewald von alliierten Truppen befreit. Endlich kann Ascher sein Versteck verlassen. Er zieht zu seiner Retterin und mütterlichen Freundin Martha Grassmann in die Bismarckallee 26. Die Kriegstraumata haben aus ihm einen ängstlichen und misstrauischen Menschen gemacht. Er leidet unter Depressionen.
Episode 13: Aschers letzte Jahre
1969 müssen Fritz Ascher und Martha Grassmann die Bismarckallee 26 und das Atelier räumen. Das Haus wird abgerissen. Sie ziehen um in die Gelfertstraße. Seine Depressionen verschlimmern sich. Er stirbt am 26. März 1970.
Alfred Kerr
Episode 14: Das Schicksal der Familie Kerr
Auf seinen Spaziergängen durch den Grunewald durchquerte Ascher oft die Douglasstraße. Hier erinnerte ihn vieles an deren einstige jüdische Bewohner:innen und an deren Schicksal – wie das des Schriftstellers und Theaterkritikers Alfred Kerr (1867–1948), der wegen der nationalsozialistischen Verfolgung bereits 1933 emigrieren musste.
Episode 15: Julia Kerr
Julia Kerr hatte als Komponistin zu dieser Zeit gerade ihre ersten Erfolge mit der Oper Die schoene Lau erzielt. Erst nach ihrer Rückkehr 1948 konnte sie wieder als Komponistin arbeiten.
Episode 16: Villa Epstein
In unmittelbarer Nachbarschaft zur Familie Kerr lebte Max Epstein, Besitzer des Deutschen Künstlertheaters, mit dem große Namen wie Gerhart Hauptmann, Heinz Rühmann und Gustaf Gründgens verbunden sind.
Konrad Latte
Episode 17: Villa Erxleben als Versteck von Konrad Latte
In den Kellerräumen der Villa Erxleben wurde 1943 der Musiker Konrad Latte mit seiner Familie von der Schauspielerin Ursula Meißner versteckt. Mit Hilfe gefälschter Papiere und einer neuen Identität gelang es ihm zu überleben. Konrad Latte verstarb 2005 in Berlin.
Episode 18: Bahnhof Grunewald
Am Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald fanden am 18. Oktober 1941 die ersten Deportationen Berliner Jüdinnen und Juden statt. Insgesamt wurden zwischen Oktober 1941 und Januar 1945 rund 55.000 deportiert. Seit 1991 befindet sich hier eine Gedenkstätte. 1998 wurde Gleis 17 zum Mahnmal umgestaltet.
Hier gibt es weitere Eindrücke in die Lebensumstände von Fritz Ascher durch ein Zeitzeuginnen-Gespräch mit Verena Velde, geb. Auerbach, die im Grunewald in der Bismarckallee 26 wohnte.
Impressum
Verfasserin und Sprecherin: Dr. Martina Weinland
Multimedia-Konzeption: Peter Schnappauf
Musik: Berkan Tunçludemir
Redaktion: Heiko Noack
Gefördert durch 321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V. aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat.