Heinrich Zille
Heinrich Zille, in Berlin auch „Pinselheinrich“ genannt, war nicht nur Zeichner, sondern auch Fotograf. Seine Bilder prägen bis heute unseren Blick auf das Berliner „Milieu“ seiner Zeit.
Heinrich Zille, in Berlin auch „Pinselheinrich“ genannt, gehört noch heute zu den bekanntesten und beliebtesten Künstler:innen der Stadt. Dabei war ihm eine Künstlerkarriere nicht in die Wiege gelegt: Erst seine Entlassung als Lithograf bei der Photographischen Gesellschaft veranlasste ihn 1907, sich ganz seiner Kunst zu widmen. Die Darstellung von Szenen aus der proletarischen Unterschicht – der Grund für seine Entlassung – stand fortan im Mittelpunkt seines Schaffens und wurde für ihn zum Haupterwerb.
Zilles Werdegang
Rudolf Heinrich Zille wurde am 10. Januar 1858 in Radeburg bei Dresden geboren. 1867 kam die Familie in das heute zu Friedrichshain gehörende Stralauer Viertel, damals eine Vorstadt Berlins. Dort bzogen sie eine Kellerwohnung in der Kleinen Andreasstraße. Für den Sohn eines Handwerkers und einer Bergmannstocher waren die Kindheitstage von wirtschaftlicher Not geprägt. Schon früh verdiente der junge Zille deshalb mit Gelegenheitsjobs dazu. Ebenso früh kam er mit allen Schichten der Bevölkerung zusammen und sammelte Großstadterfahrung. Diese Eindrücke waren es auch, die für sein späteres Schaffen und seine Werke so wichtig werden sollten.
Diesen Rat nahm sich der junge Zille zu Herzen. Er ging auf die Straße: die Straßen einer Stadt, die zwischen 1890 und 1910 viel zu schnell gewachsen war, einer Stadt voller sozialer Gegensätze und kultureller Konflikte. Hier fand Zille seine Motive: das Berliner Proletariat, das sich von der wachsenden Metropole so viel erhoffte und doch so oft enttäuscht wurde und dessen Alltag von niedrigen Löhnen sowie der herrschenden Hungers- und Wohnungsnot bestimmt war.
Zille und sein „Milljöh“ – das wahre Leben
Im Mittelpunkt von Zilles Werk stand der Mensch in den Berliner Mietskasernen und Hinterhöfen, in den Kneipen und Bordellen. Er zeichnete das wahre Leben dieses sozialen Milieus: Ehestreit, Alkoholismus, Prostitution, Kinderarbeit und Armutskrankheiten. Durch Kontakte in die Berliner Künstler:innen-Kreise stellte Zille seit 1901 einige seiner Werke in den Ausstellungen der Berliner Secession aus. Bereits hier zeigte er eine Wirklichkeit, „die es bis dato in dieser Klarheit und Härte in der Berliner Kunst nicht gab“, wie Matthias Flügge in dem Buch H. Zille – Berliner Leben schreibt.Seit 1905 arbeitete Heinrich Zille für die Lustigen Blätter. Hier waren Zeichnungen aus dem Milieu mit Witz in Wort und Bild gefragt. Mit zunehmender Zahl von Aufträgen – Verleger:innen von Büchern und Zeitungen wurden seine Hauptauftraggeber:innen – perfektionierte er seinen Pinselstrich für Federzeichnungen. Zudem lernte Zille, kurz und pointiert zu formulieren und seine Art des „unbeobachteten Zeichnens“ zu vervollkommnen. Seine Blätter erschienen in den unterschiedlichsten Zeitschriften, darunter Simplicissimus und Jugend. Die Redaktionen verlangten dabei nicht nur Grafiken, die Wohnungsnot, Kriminalität und Alkohol zum Thema hatten. Die Leser:innen sollten sich in den Bildern auch wiedererkennen.
Fotograf der Moderne
Das Zille auch fotografiert hatte, stand bis in die späten 1960er Jahre im Hintergrund. Dabei hatte Zille das Medium Fotografie bereits in der Ausbildung zum Lithografen kennengelernt und Fotos später als Vorlagen für seine Zeichnungen genutzt. Auch während seiner Tätigkeit bei der Photographischen Gesellschaft erwarb er Kenntnisse der Fotografie, auch wenn nicht überliefert ist, inwiefern sie zu seiner täglichen Arbeit gehörten. Er selbst fotografierte jedenfalls nur als Privatmann ohne finanzielles Interesse. Und: Er fotografierte ausschließlich in den Jahren, als er noch nicht als Zeichner und Grafiker sein Geld verdiente. Seine frühsten Werke reichen bis 1882 zurück.
Während seine ersten Motive denen von Berufsfotografen glichen, nahmen im Laufe der kommenden Jahre die Momentaufnahmen immer mehr Raum in Zilles fotografischen Arbeiten ein. Neben Personen zeigen sie häufig Stadtansichten, etwa aus Charlottenburg, Westend – seinem Kiez in späteren Lebensjahren – oder dem Krögel-Viertel am Spreeufer zwischen Fischerinsel und Waisenbrücke. Er ist direkt am Ort des Geschehens, lauert den Menschen beinahe auf. Er selbst tritt dabei als Fotograf völlig in den Hintergrund. Mit den so entstandenen Bildern hält er den Mikrokosmos des sich rapide verändernden Berlins fest. Ab 1902 fotografiert Heinrich Zille immer seltener. Die letzten datierbaren Fotografien – private Aufnahmen von seiner Familie – entstanden um 1905/1906.
Auch wenn Zille sich selbst nie als Fotograf verstanden hat und sein fotografisches Werk mit dem Ausscheiden aus der Photografischen Gesellschaft endete, hat er doch das Medium auf eine Weise, geprägt, die für die Bildsprache des 20. Jahrhunderts maßgeblich werden sollte. Das moderne in Heinrich Zilles Fotografie „zeigt sich darin, wie er die Kamera für seine künstlerischen Absichten genutzt hat und zu welchen photoästhetischen Ergebnissen er gekommen ist“, fasst der Berliner Fotograf und Kunsthistoriker Enno Kaufhold Zilles Leistung zusammen: „Mit seinen bereits früh entstandenen Fotoserien leitete er die Reportage-Fotografie der kommenden Jahre ein, mit seinen Motiven wich er von thematischen Konventionen ab.“
Am 9. August 1929 starb Heinrich Zille nach mehreren familiären Schicksalsschlägen in Berlin. Hinterlassen hat er ein bedeutendes zeichnerisches, druckgrafisches und fotografisches Werk, in dem er bis heute zugleich als unterhaltsamer Chronist wie auch als bahnbrechender Künstler seiner Zeit fortlebt.
Heinrich Zille im Bestand des Stadtmuseums Berlin
Bereits 1928 erwarb das Märkische Museum – seit 1995 Teil der Stiftung Stadtmuseum Berlin – 130 Zeichnungen Heinrich Zilles. Leider hat nur ein einziges dieser Blätter den Zweiten Weltkrieg überdauert, die Grafik „Weihnachtsmarkt am Arkonaplatz“. Trotz dieser unersetzlichen Verluste verfügte das 1946 wiedereröffnete Museum schon 1978 mit rund 180 Grafiken, Abzügen und Dokumenten über eine umfangreiche Zille-Sammlung. Zudem erwarb ab 1966 auch das Berlin-Museum – das West-Berliner Pendant zu dem in Ost-Berlin gelegenen Märkischen Museum – erste Zille-Werke.
Heute sind die Bestände des Märkischen Museums und des Berlin-Museums unter dem Dach der Stiftung Stadtmuseum Berlin vereint. Der Zille-Bestand erstreckt sich über mehrere Sammlungen, darunter die fotografische Sammlung, die Dokumentensammlung sowie die Grafische Sammlung, die mit ca. 2.500 Handzeichnungen und Druckgrafiken die meisten Werke umfasst. In der fotografischen Sammlung befinden sich mehr als 300 Neuprints nach den Originalnegativen von Heinrich Zille, die 1978 mithilfe von Lotto-Mitteln erworben werden konnten. In der Dokumentensammlung werden neben Originalhandschriften (Autographen) von Heinrich Zille vor allem Dokumente zu seinem Gedenken und Wirken, Postkarten sowie Zeitungsausschnitte bewahrt.