Der niederländische Fotograf Fons Brasser besuchte in den 1980er Jahren das geteilte Berlin. Mit seinen Fotos wurde er zum künstlerischen Dokumentar von dessen stillgelegten S-Bahnhöfen.
Der Anblick der einsamen, heruntergekommenen Bahnsteige entfachte sein künstlerisches Interesse für das einst modernste Nahverkehrssystem der Welt – und das, was mehr als 30 Jahre nach der politischen Teilung und 22 Jahre nach dem Mauerbau daraus geworden war. Fons Brasser entwickelte ein klares Konzept für sein erstes umfassendes Fotoprojekt, dem er den deutschen Titel „Berlin Geisterbahn“ gab und an dem er von 1983 bis 1986 arbeitete.
Forscher mit der Kamera
Mit der Genauigkeit eines Forschers konzentrierte sich Brasser ausschließlich auf West-Berliner S-Bahn-Höfe, die zu dieser Zeit ganz oder teilweise stillgelegt waren. Er besuchte auch Archive und legte sich eine Sammlung von Streckennetz-Plänen zur Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Berlin an.
In dem Auswahlprozess entstanden 59 Doppelbildnisse, jeweils zusammengesetzt aus einer Ansicht des Bahnhofsgebäudes bzw. -eingangs und einer Ansicht des Bahnsteigs – beide im Hochformat. Die Architektur ist in den Aufnahmen räumlich isoliert und weitestgehend ohne Bezug zum umgebenden Stadtraum dargestellt. Die Bahnsteige sind meist aus der Perspektive des Gleisbettes aufgenommen – von Standpunkten, die der Fotograf nur bei stillgelegten Bahn-Linien einnehmen konnte. Mit diesen gleichbleibenden fotografischen Stilmitteln lädt Brasser dazu ein, genau hinzuschauen und die portraitierten Bahnhöfe zu vergleichen. Dabei werden Ähnlichkeiten ebenso deutlich wie Unterschiede.
Mit seiner Bildserie hat Fons Brasser zugleich eine Typologie der bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts entstandenen Berliner S-Bahnhöfe geschaffen, deren Architektur für den jeweiligen Ortsteil und Entstehungszeitpunkt typisch ist. Sie kündet von einstiger Pracht und vom Repräsentationswillen in reichen Wohnlagen sowie von nüchterner Zweckmäßigkeit an Stationen, die täglich Massen arbeitender Menschen zu ihren Arbeitsstätten durchströmten. Die Bahnhöfe stehen für die Zeit von Berlins Aufschwung zur Metropole, vorangetrieben ab 1871 durch die neue Rolle als Hauptstadt des Deutschen Reiches und ab 1920 durch die Bildung Groß-Berlins.
Den Bildpaaren fügte der Fotograf lediglich den Namen der jeweiligen Station und der stillgelegten Bahnstrecke sowie das Tagesdatum der Aufnahme hinzu. Die abgebildeten Bahnhöfe werden dadurch zu „Tatorten“ der Geschichte, und die von Brasser dokumentierten Spuren von Verfall und Vandalismus zum Ausdruck des Kalten Krieges.
Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack
Sammlung Online
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