Der Mauerfall in Fotografien von Bernd Horst Sefzik
Der Ost-Berliner Fotograf erlebte die Ereignisse der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 mit. In einer Bilderserie hielt er sie fest, und ein Jahr nach dem Mauerfall beschrieb er sie in seinen eigenen Worten.
„Als ich am späten Abend des 9. November 1989 nach einem Fototermin nach Hause fuhr, fiel mir der ungewöhnlich starke Verkehr in den Straßen von Berlin auf. Alle Autos strebten in eine Richtung, zum Grenzübergang Bornholmer Straße. Dort stockte bald aller Verkehr, die Autos blockierten in Dreierreihe jedes Weiterkommen. Ich stieg aus, ging zu Fuß weiter und hörte und sah schließlich etwas Unfaßbares. Die Grenze nach Westberlin war offen! Vorbei an Grenzsoldaten, die es bald aufgaben, Ausweise zu kontrollieren oder gar zu stempeln, flutete eine gewaltige Menschenmenge in beide Richtungen: sie riß auch mich mit.“
Bernd Horst Sefzik
Über den Fotografen
Als Fotojournalist wurde der Wahl-Berliner Bernd-Horst Sefzik (1942–1994) über die DDR hinaus bekannt. 1942 in Greifswald geboren, absolvierte er ab 1958 seine fotografische Ausbildung in Rudolstadt. Nach einjähriger Tätigkeit als Bildreporter bei „Das Volk“ in Erfurt zog er nach Ost-Berlin, wo er zunächst vier Jahre lang für die „Junge Welt“ tätig war. Im Anschluss daran begann er 1968 ein Fotografie-Fernstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, das er 1973 mit Diplom erfolgreich abschloss. Parallel zum Studium begann 1968 seine Karriere bei der „Neuen Berliner Illustrierten“, für die er bis zur Einstellung der Zeitschrift Reportagen aus aller Welt verfasste.
„Alles, was in dieser Nacht passierte, fand seinen Ausdruck in dem immer wiederkehrenden Wort ‚Wahnsinn‘. Dieser eine Begriff drückte alleine aus, was ein jahrzehntelang getrenntes Volk in sich aufgestaut hatte: Wut über nicht wieder gut zu machende Familientragödien, Jubel über noch unfaßbare Freiheit, Trauer über verlorene Jahre. Ein Taumel der Gefühle im Blitzlicht. Erste Schritte aufeinander zu. Es gab einige, die noch in dieser Nacht die Koffer packten und endgültig nach dem Westen gingen, weil sie der plötzlichen Grenzöffnung nicht trauten. Die meisten aber liefen durch volle, fremde Straßen und merkten nach Stunden, als es gegen Morgen hin kühl wurde und der Rauch des von Feuerwerkskörpern schwer in der Luft lag, wie fremd sie trotz des gegenseitigen Zuprostens und der Wahllosen Umarmungen in diesem Teil der Stadt waren. Sie liefen durch eine andere Welt.“
„Wenn ich mir die Bilder dieser Zeit ansehe, kommt es mir vor, als wäre längere Zeit als nur ein Jahr vergangen. Bei allen widersprüchlichen Gefühlen waren die Gesichter offen. Es gab zornige, aber noch keine aggressiven Gesten und Minen. Mir sind diese Gesichter lieber als jene, die ich später immer wieder sah: die der trunkenen, zerstörerischen Menge in der Silvesternacht am Brandenburger Tor, die der verzweifelten, haßerfüllten Demonstranten, die unter schwarzen Fahnen den Erhalt ihrer Arbeitsplätze forderten.“
„Kurze Zeit nach der Grenzöffnung, die anfangs noch nicht freien Reiseverkehr, sondern nur kontrollierten, gelenkten Durchlaß mit sich brachte, hatte ich Gelegenheit, die noch völlig erhaltene Mauer rings um Berlin zu fotografieren. Wer die Berliner Mauer nicht kennt, weiß nicht, daß sie eigentlich aus zwei gleich hohen Betonwänden bestand. Dazwischen befand sich, mehrere hundert Meter breit, für jeden Zivilisten gesperrt, das „Niemandsland“, ein asphaltierter Kolonnenweg für die Grenzfahrzeuge, gesäumt von Wachttürmen, sowie der mit Herbiziden behandelte, völlig unkrautfreie, sauber geeggte und jeden Schritt verratende „Todesstreifen“. Diese Schneise, rücksichtslos durch die Stadt geschlagen, zerschnitt alle Baulichkeiten, verlief mitten durch Häuser und Straßen, durchquerte Betriebsgelände ebenso wie Friedhöfe, Bahnanlagen und Wasserläufe.“
„Dieses ‚Niemandsland‘ zwischen Mauern bin ich in voller Länge von 168 Kilometern angelaufen oder – gefahren, und soweit ich weiß, war ich der erste Fotograf, der das tun durfte. Meine Eindrücke wechselten zwischen Erschrecken und Entsetzen, es gab Momente, wo kein Foto ausdrücken konnte, was ich empfand. Zum Beispiel, als ich den U-Bahnhof Potsdamer Platz betrat (der, durch seine unterirdische Lage geschützt, die Jahre überdauert hatte) und sich meine Fußabdrücke im millimeterstarken Staub markierten. Sie waren die einzigen frischen, menschlichen Spuren in einer erstarrten Welt. Hinter zugemauerten Eingängen fand ich alles so, wie es vor fast drei Jahrzehnten, offenbar in Eile, verlassen worden war: einen umgekippten Stuhl, eine Zeitung vom August 1961, Werkzeug …“
Bernd Horst Sefzik, 1990
Buchtipp
Gut : Gegangen
Der Abzug der sowjetischen | russischen Streitkräfte 1990 bis 1994
Herausgegeben von Michael Daxner, Gerd Harms, Axel von Hoerschelmann, Jann Jakobs und Birgit-Katharine Seemann. Mit Fotografien von Bernd Horst Sefzik aus der Sammlung des Stadtmuseums Berlin.
Softcover, 244 Seiten, 1. Auflage 2024, Jürgen Strauss Medien, ISBN 978-3-943713-39-8, Preis: 14,90 Euro