Um Berlin (Teil 3)
Innerhalb weniger Jahrzehnte erfolgte bis in die 1930er Jahre eine bis dahin beispiellose Be- und Zersiedlung des Berliner Umlands – ein Vorgang, der sich seit der Wiedervereinigung 1990 wiederholt. Wie dynamisch dieser Prozess verlief, lassen die Motive der hier gezeigten grafischer Blätter erahnen.
Sichtbare Zeichen der Zersiedelung sind Brandmauern und Giebelwände neu errichteter Wohnhäuser, oft umgeben von Kleingärten oder Brachen, wie in den Zeichnungen von Alfred Ehlers, Erwin Graumann und Werner Hahmann. In der Biesdorf-Darstellung von Irene Baluschek-Drösse wird eine triste Landstraße von einer Telefonleitung gesäumt, einem Vorboten künftiger Erschließung. Adolf Wilhelm Baums Zeichnung von Sandbergen vor der Kulisse von Steglitz dokumentiert die rege Bautätigkeit in den südlichen Berliner Vororten kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Gleiches gilt für das Motiv neuer städtischer Wohnquartiere in der Villenkolonie Südende (ebenfalls Steglitz) von George Grosz. Beispiele für das Neue Bauen in der Weimarer Republik sind Darstellungen der „Straßenbahnstadt“ an der Müllerstraße im Wedding von Willy Jaeckel und des Funkturms in Charlottenburg von Paul Grunwaldt. Dessen Zeichnung erlaubt zudem einen Blick auf das Berliner Stadtzentrum und lässt die Weitläufigkeit des 1920 geschaffenen Stadtgebiets erahnen.
Irene Baluschek-Drösse war Malschülerin bei Hans Baluschek und ab 1913 seine zweite Ehefrau. Die enge Verbindung zwischen den beiden offenbart sich auch im Stil des Bildes. Das Motiv der von Telefonleitungen und frisch gepflanzten Bäumen flankierten ländlichen Straße lässt nur erahnen, dass sich Biesdorf bald zu einer begehrten Vorortsiedlung im Berliner Osten entwickeln würde.
Das im Mittelalter gegründete Schmargendorf entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert vom Dorf zu einer vermögenden Berliner Vorortgemeinde. Im Jahr 1900 leistete sich der Ort das noch heute erhaltene, auf freiem Acker errichtete, aufwendige Rathaus, dessen Turm man in der Zeichnung von Ehlers im mittigen Bildhintergrund erkennen mag. Ein Kranz von Kleingärten und Äckern umgab die Gemeinde, die mit der Bildung von Groß-Berlin 1920 Bestandteil des Bezirks Wilmersdorf (heute Charlottenburg-Wilmersdorf) wurde.
Erwin Graumann, Vorstadt-Kleingärten (um 1925)
Graumanns Zeichnung zeigt eine für Berlin in den 1920er Jahren typische Situation. Der Bau von Wohnquartieren war in den Randlagen der Kernstadt und der eingemeindeten Nachbarstädte während des Ersten Weltkriegs zum Erliegen gekommen. Laubenkolonien und Kleingärten schlossen unmittelbar an die bebauten Straßen an und waren durch den Baustillstand wenigstens über einige Jahre hinweg in ihrer Existenz gesichert. Das Motiv konnte topografisch bisher noch nicht zugeordnet werden.
George Grosz wohnte ab April 1912 in der Lichterfelder Straße im Steglitzer Vorort Südende. In zumeist sparsam angelegten Blättern wie diesem zeichnete er sein neues Wohnumfeld. Oft zeigen seine Arbeiten einen als öde charakterisierten Vordergrund und eine zurückgesetzte städtische Szenerie. Die geschlossene Bebauung in „Wohnhäuser in Südende“ dokumentiert die zunehmende Verstädterung der ehemaligen Villenkolonie.
Der Berliner Funkturm, eine der Ikonen des Neuen Bauens in Berlin, ist ein 146,7 Meter hoher Stahlfachwerkturm mit Restaurant und Aussichtsbereich im damaligen Bezirk Charlottenburg. Zu Füßen des 1926 nach Entwürfen von Heinrich Straumer fertiggestellten Bauwerks befinden sich die ursprünglichen Messehallen. Der Blick nach Osten lässt am linken Rand das Charlottenburger Rathaus, im Hintergrund rechts die Türme und Kuppeln der Innenstadt erkennen – darunter die von Reichstag, Dom und Schloss.
Die Zeichnung ist, neben weiteren Arbeiten Jaeckels in der Sammlung des Stadtmuseums Berlin, eine Illustrationsvorlage für die 1927 in Berlin erschienene Publikation „Die Bahnhofsbauten der Berliner Straßenbahn-Betriebs GmbH“. Nach Entwürfen des Architekten Jean Krämer wurden für die Berliner Straßenbahn in den 1920er Jahren einige neue Betriebshöfe in den Randbezirken errichtet oder vorhandene Anlagen umgebaut. Im sogenannten Englischen Viertel im Norden das damaligen Bezirks Wedding (heute Mitte) entstand bis 1927 eine Baugruppe mit Wagenhalle, Werkstätten, Verwaltung und einer Wohnanlage für die Angestellten, die der Kunstkritiker Max Osborn als „Straßenbahnstadt“ bezeichnete. An der Müllerstraße erheben sich bis heute die in der Darstellung sichtbaren, je 32 Meter hohen torartigen Turmbauten mit ihrem charakteristischen expressionistischen Ziegel-Klinker-Dekor.