Um Berlin (Teil 6)
Mit der Schaffung von Groß-Berlin im Jahr 1920 verfügte die Stadt über ein ausgedehntes Wald- und Seengebiet, das den Menschen der Metropole bis heute viele Möglichkeiten zur Erholung und Entspannung bietet. Über ein gut ausgebautes Nahverkehrsnetz war zum Beispiel der Grunewald als traditionelles Jagd- und Wandergebiet schnell zu erreichen.
Einen Eindruck von Ruhe und geistiger Vertiefung vermitteln zwei Zeichnungen von Jakob Steinhardt, der seine Frau Minni lesend im Wald und den Malerfreund Friedrich Feigl zeichnend am Großen Wannsee darstellte. In Julie Wolfthorns Aquarell versinkt eine Ausflugsgaststätte an einem See nahezu im herbstlichen Grün eines Waldes. „Bei Mutter Grün“ ist der Titel einer Lithografie von Hans Baluschek. Dieser Titel passt jedoch auch als Synonym für die tausenden Kleingärten und die Laubenkolonien, in denen sich viele Berliner:innen mit und ohne Familien erholten – und zugleich ihr eigenes Gemüse und Obst anbauten. Sinnbildlich dafür steht Hans Baluscheks gebrauchsgrafischer Entwurf für das Diplom des Reichsverbandes der Kleingartenvereine Deutschlands.
Hans Baluschek schildert in seiner keinem bestimmten Ort zuzuordnenden, gleichwohl auf Berlin bezogenen Darstellung eine für seinen sozialkritischen Ansatz charakteristische Situation: Erholungssuchende, dem Äußeren nach den arbeitenden bzw. unteren sozialen Schichten angehörend, haben sich unter schattigen Bäumen an einem Gewässer zusammengefunden. Ihren Alltag bestimmt die harte Arbeit, als deren Symbole die rauchenden Schlote der Fabriken am gegenüberliegenden Ufer erscheinen.
In Röslers unspektakulärer Darstellung ist Berlin lediglich zu erahnen. Ein auf freiem Feld aufgestellter Mast einer Telefonleitung wirkt wie ein Vorbote künftiger Erschließung. Und tatsächlich sind im Hintergrund des Motivs Gebäude und Schornsteine als Symbole für Großstadt und Wachstum zu erkennen.
Jakob Steinhardt, Minni im Wald lesen (1922)
Jakob Steinhardt heiratete 1922 Minni Gumpert, die er beim Berliner Verleger und Galeristen Wolfgang Gurlitt kenngelernt hatte. Der Künstler zeichnete seine junge Frau bei einem Ausflug in einen vermutlich im Berliner Umland gelegenen Wald.
Der aus Prag stammende Maler Friedrich Feigl war mit seiner Frau ab 1910 für einige Jahre in Berlin ansässig. Steinhardt portraitierte den Freund und Künstlerkollegen anlässlich eines gemeinsamen Besuchs am Großen Wannsee. Hier ging Feigl einer beide verbindenden, erholsamen wie auch kreativen Tätigkeit nach, dem Zeichnen.
In Röslers unspektakulärer Darstellung ist Berlin lediglich zu erahnen. Ein auf freiem Feld aufgestellter Mast einer Telefonleitung wirkt wie ein Vorbote künftiger Erschließung. Und tatsächlich sind im Hintergrund des Motivs Gebäude und Schornsteine als Symbole für Großstadt und Wachstum zu erkennen.
Das umfangreiche Werk von Julie Wolfthorn – 1898 Gründungsmitglied der „Berliner Secession“ und 1944 achtzigjährig im KZ Theresienstadt gestorben – wurde erst um 2000 wiederentdeckt. Ihr Aquarell zeigt ein stimmungsvolles Motiv aus dem Berliner Randgebiet. Unter dem herbstlich gelichteten Laubdach geht die Saison der von nur wenigen Gästen besuchten Ausflugsgaststätte an einem See ihrem Ende entgegen.